Theater der Zeit

Look Out

It’s the Produktionsform, stupid!

Das Wiener Theaterkollektiv makemake produktionen durchbricht das Kategoriendenken

von Margarete Affenzeller

Erschienen in: Theater der Zeit: Das große Kegeln – Zur Machtdebatte am Theater (06/2021)

Assoziationen: Akteure Kosmos Theater

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Zum Kern des Kollektivs makemake produktionen gehören heute sechs Frauen: Anita Buchart, Julia Haas, Nanna Neudeck, Sara Ostertag, Michèle Rohrbach und Martina Rösler. Frauenkollektiv heißt es dann. Das ist zwar nicht falsch, aber auch irreführend, zumal sich die vor zehn Jahren in Wien entstandene Gruppe nie als solches betrachtet hat. „Es sind eben jene übrig geblieben, die sich am meisten füreinander interessiert haben – und das waren Frauen“, sagt Sara Ostertag, Regisseurin und informelles Mastermind der Truppe. Ein Zufall, aber nicht nur: Der Entstehungsprozess war auch Ausdruck einer geschlechterpolitischen Wende im Theaterbetrieb, in der sich Frauen, denen lange Zeit die immer gleichen Plätze und Themen zugewiesen worden waren, neuen Raum freischaufelten.

Das Besondere an makemake produktionen ist die Offenheit für ganz unterschiedliche ­Ausdrucksweisen. Sie lassen sich schwer auf einen Nenner bringen, vor allem, weil makemake für jedes Projekt und jede Kooperationsweise völlig originär zu denken beginnt. It’s the Produktionsform, stupid!, könnte man sagen. Schließlich macht es einen Unterschied, ob eine Inszenierung in Eigenregie oder in Anbindung an ein Stadt­theater entsteht. „Der Produktionsprozess entscheidet darüber mit, welche künstlerischen Mittel eine Person anwendet“, sagt Ostertag. Dieser Determinismus beschäftigt die Gruppe gerade sehr, zumal sich institutionalisierte und freie Arbeitsweisen immer mehr annähern.

Die Wendigkeit in den Ausdrucksmöglichkeiten geht nicht zuletzt einher mit dem Selbstverständnis als Theater für alle Generationen. Von Anfang an hatte makemake ein genuines Interesse daran, auch für junges Publikum zu produzieren. Vorderstes Anliegen war und ist es, das Kategoriendenken (Unterteilung in Erwachsenen- und Kindertheater) zu durchbrechen. Die Gruppe konnte den Aufwind nutzen, der damals nach der Gründung des Dschungels Wien die Theaterszene vor Ort beflügelte. Den Einstand gab man 2011 mit „Momo oder Die Legende vom Jetzt“.

Ein Großteil der makemake-Mitglieder wurde an der Hochschule der Künste in Zürich ausgebildet und hat sich dort darstellende Kunst als weites Feld erschlossen. Der Reichtum der Mittel lässt sich am besten am Beispiel von „Das große Heft“ ­exemplifizieren, einer Inszenierung von Ágota Kristófs Antikriegsroman, die Ende 2019 noch unbehelligt von der bald dräuenden Pandemie im Kosmos Theater Wien Premiere hatte. Den darin nachgezeichneten Selbstverrohungsprozess der beiden kind­lichen Protagonisten veranschaulicht der Abend in Choreografien und Bildern, die Gewalt nicht nachbilden, sondern sie in stellvertretende, un­abgenutzte Zeichen transformieren: ­Bodypainting, Materialtheater (Erdhügel), Objekttheater (kindlich-radikale Wasserbomben), projizierte Schrift et cetera. Es war ein sinnlich heraus­ragender Abend, der seine ureigene Ästhetik aus der Auseinandersetzung mit dem Text entwickelte. Damit landete die Gruppe sogar auf der Shortlist des Berliner Theatertreffens 2020.

23 Produktionen entstanden in den letzten zehn Jahren. Zu den Highlights gehört das vielstimmige Generationenstück „Muttersprache Mameloschn“ von Sasha Marianna Salzmann, das den Nestroy-Preis für die beste Off-Theater-Produktion der Spielzeit 2017/18 erhielt. Oder die theatralische Weltreise ­„Atlas der abgelegenen Inseln“ von Judith Schalansky, in Zusammenarbeit mit dem Landestheater Vorarlberg sowie dem Dschungel Wien. In der jüngsten, coronabedingt installativen Arbeit, Ruth Klügers „weiter leben“, ist sogar ein Miniaturkino integriert. Es empfängt sein Publikum im romantisch-cinephilen Ambiente eines straßenseitig geparkten Zirkuswagens. //

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