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Film: Jeder für sich und Gott gegen alle
von Ralf Schenk
Erschienen in: Theater der Zeit: Die Bibliothek des Körpers – Der Tänzer-Choreograf Ismael Ivo (03/2015)
Um Andrei Swjaginzews neuen Film Leviathan tobt derzeit in Russland eine Art Glaubenskrieg. Ganze Heerscharen nationalstolzer Kritiker unterstellen dem Regisseur, er ziehe sein Land in den Schmutz, um auf internationalem Parkett zu punkten. Kulturminister Wladimir Medinski ließ sich zu der Aussage hinreißen, sein Haus werde künftig keine Filme mehr finanzieren, die das Vaterland als „Scheißhaufen“ darstellen. Droht dem russischen Kino ein ähnliches Schicksal wie dem ungarischen, wo die Förderung fast nur noch Kommerz, aber keinesfalls mehr Kunst unterstützt, die gesellschaftliche Prozesse kritisch begleitet?
Irgendwo in der nordrussischen Küstenregion Murmansk lebt die Familie des Automechanikers Kolja in ihrem Haus am Meer. Das ist dem Bürgermeister ein Dorn im Auge, er will das Grundstück für sich und schafft es am Ende auch, dass Kolja ruiniert und im Gefängnis ist, seine Frau ist tot. Hinter dem Schreibtisch des feisten Bürgermeisters prangt deutlich sichtbar das Porträt Putins. Und der orthodoxe Bischof segnet dessen Taten mit Inbrunst. Vielleicht ist dies das eigentliche Angriffsziel: nicht der Staat, von dem kaum mehr jemand etwas erwartet, sondern jene Kirche, die sich in eine unheilige Allianz mit korrupten Beamten und einer eiskalten Justiz begeben hat, anstatt den Schwachen beizustehen. Die erbarmungslose Gottlosigkeit der selbsternannten Vertreter Gottes auf Erden. Schon...