Auftritt
Theater Osnabrück: Acker voller Keime des Zorns
„Kohlhaas (Glück der Erde, Rücken der Pferde)“ nach Heinrich von Kleist – Inszenierung Lorenz Nolting, Bühne Lorenz Nolting, Sofie Boiten, Lea Jansen, Kostüme Lea Jansen
von Jens Fischer
Assoziationen: Niedersachsen Theaterkritiken Lorenz Nolting Theater Osnabrück
Der Anfang täuscht. Lattenzaun und Plastikstuhl als Bühnenbild auf einem Drehpodium deuten textkonzentriertes Spartheater an. So wird am Theater Osnabrück die Ausgangssituation von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas" vorgestellt. Den putzig Pferd spielenden Michi Wischniowski muss der leicht ironisch Rechtschaffenheit darstellende Kohlhaas (Thomas Kienast) an einer Grenze zurücklassen, weil der Grund-und-Boden-Besitzer das Tier als Pfand für einen fehlenden Passierschein einfordert. Als der Rosshändler im Wissen zurückkehrt, dass es sich um eine willkürliche Machtdemonstration der Obrigkeit gehandelt hat, liegt sein Gaul fast totgeschunden am Boden. Kohlhaas erzählt zunehmend empört, wie er mit seinem Ruf nach Gerechtigkeit am korrupten Rechtssystem scheitert. Bei einem Bittgesuch wird auch noch seine Frau (Rebekka Biener) tödlich verletzt. Aus ein bisschen Bewunderung für Herrn Kohlhaas, der den vorgeschriebenen Weg durch die Instanzen geht, erwächst Mitgefühl angesichts der quälenden Ungerechtigkeiten. Jetzt müsste vorlagengemäß die Verstörung einsetzen, weil sich der Protagonist nun zum unbeugsamen Idealisten stilisiert, der gegen ein repressives Herrschaftssystem kämpft. Dabei aber der Psychologie des Terrorismus folgt, im Wut-Zorn-Hass-Rausch einen blutigen Rachefeldzug initiiert und zum entsetzlichen Brandschatzer und Mörder wird.
Diese Verstörung sucht auch die Inszenierung von Lorenz Nolting, will sie aber nicht mit Kleists Werk auf der Bühne entwickeln, sondern unter dem Titel „Kohlhaas (Glück der Erde, Rücken der Pferde)“ mit selbst und von Sofie Boiten verfassten Texten im Publikum provozieren. Dort sieht Kohlhaas einen „Acker voller Keime des Zorns! Keime, die nur einen Kippmoment davon entfernt sind, zu voller Ernte aufzublühen!“ Oder um es in aller Deutlichkeit zu sagen: „Wir haben hier gemeinsam genug Probleme im Raum, um ganz Deutschland anzuzünden.“ Schon toben Anklagen los. Großkonzerne werden als Burgen heutiger Feudalherrscher bezeichnet. Eine Teufelspuppe deutet aktuelle Krisen als Ausdruck des neoliberalen Kapitalismus. Es fallen Aufreger-Stichworte wie Cum-Ex-Strafverfahren, Mobbing, Inflation, Jeff Bezos usw. usf. Auf dass wir Zuschauer:innen den Schalter umlegen, die Weltlage nicht mehr hinnehmen, sondern Widerstand als unsere Pflicht ansehen. Ob damit beispielsweise Wutbürgertum, Querulantismus, RAF-Gewalt, AfD-Hetze, Guerilla-Aktivitäten gemeint sind, bleibt unklar. Denn es regiert der in die Unverständlichkeit galoppierende Dauerregungstonfall, mit dem Nolting an seine Osnabrücker Produktion „Andere Leute“ (nach Dorota Masłowskas Roman) anknüpft, Genre: Vollgas-Schreitheater.
Jetzt sind Kohlhaas und die wiederauferstandene Gattin in aller Cowboy-Lächerlichkeit hergerichtete Antipoden. Sie will die Reformation der Verhältnisse ohne Gewalt, er schmeißt sich in Piffpaffpuff-Pose des Pistelleros, zieht sich zu Orgelmusik in den Untergrund zurück, einen plastikgrünen Nebenraum, um die Revolution zu planen. Irgendwann sinkt Kohlhaas aber zusammen und rätselt lauthals, was denn sein Antrieb sei, woran er glaube. Eine Teufelspuppe räsoniert rasend, dass nur an den Markt zu glauben sei als „die ordnende allwissende Kraft“. Denn „jede von der Moral geleitete Revolution führt nur zu neuer profitabler Verwüstung!“ Ja, schon die Französische Revolution habe „nur neue Käuferschichten freigesetzt, die endlich auch so konsumieren konnten wie das Ancien Regime! Kuchen! Käse! Champagner!“ Genauso sei es gewesen bei der Russischen Revolution, beim Prager Frühling und der friedlichen Revolution in der DDR. Aber das ist nur in der Textfassung nachzulesen, live wird kaum mehr etwas nachvollziehbar im performativen Durcheinanderbrüllen gegen das Ohnmachtsgefühl. Dazu spendiert die Regie spektakelwillig Nebel, Metal-Musik, Videos, Bühnenrotation, Lichteffekte, skandierte Agitprop-Parolen, Gesänge, Leidensausdrucktanz, Flugblätter … nur das Pferd, das wahre Opfer, bleibt meist unbeachtet (auch von der Regie vernachlässigt) am Rand des Tohuwabohus. Sklavenhaft klopft es Steine oder boxt in Napoleon-Uniform. Wer mag, kann nun über Kleists feindliche Haltung zum französischen Kaiser nachdenken. Aber dazu müsste man halt schon alles wissen, der laut-grelle Theaterabend vermittelt keine historische Einordnung.
Eine weitere Aktualitätsbehauptung versucht Nolting mit Puppentheater. Ein rechtsnationaler Gockel, ein konservativer Hummer und ein sozialdemokratischer Fisch streiten, während ein Linken-Vertreter gar nicht erst auftreten darf. Der Fisch wird aber auch schnell entsorgt. Woraufhin Hummer- und Gockel-Puppe schier endlos miteinander raufen. Was angesichts ostdeutscher Wahlergebnisse auf symbolischer Ebene noch nachvollziehbar sein mag, dialogisch leider weiterhin unverständlich ist und ästhetisch wie Kita-Theater daherkommt.
Vorm Abspann sitzen die beiden Weltveränderungsschreihälse als gealtertes Paar bei Kaffee und Kuchen vorm Fernseher, dämmern muckelig dahin, schwankend zwischen Erinnerungen an die wilde Vergangenheit und der jetzigen Man-kann-doch-eh-nix-machen-Haltung. Bis das Pferd genug von dem Geseire hat – und beide erschießt. Zu spät. Ihre Geschichte ist längst in lärmender Beliebigkeit verendet.
Erschienen am 31.10.2024