I. Schauspielen
Dramatische Gestaltung
Quelle 5
von Erving Goffman
Erschienen in: Lektionen 3: Schauspielen Theorie (12/2010)
Assoziationen: Regie Dramaturgie Schauspiel
Vor anderen durchsetzt der Einzelne gewöhnlich seine Tätigkeit mit Hinweisen, die bühnenwirksam ihn bestätigende Tatsachen illustrieren und beleuchten, welche sonst unbemerkt oder undeutlich bleiben könnten. Denn wenn die Tätigkeit des Einzelnen Bedeutung für andere gewinnen soll, muß er sie so gestalten, daß sie während der Interaktion das ausdrückt, was er mitteilen will. Es kann in der Tat vorkommen, daß von dem Darsteller Beweise seiner Fähigkeiten nicht nur im gesamten Verlauf der Interaktion, sondern auch innerhalb eines Sekundenbruchteils verlangt werden. Wenn etwa der Schiedsrichter beim Baseballspiel den Eindruck erwecken will, er sei sicher in seinen Entscheidungen, so muß er auf den Augenblick der Reflexion verzichten, der ihm gerade die Sicherheit geben könnte. Er muß sofort eine Entscheidung fällen, damit das Publikum sicher sein kann, daß sein Urteil richtig ist.
Dazu ist anzumerken, daß die Gestaltung bestimmter Rollen deshalb kein Problem bietet, weil einige der Handlungen, die für die Erfüllung der Hauptaufgabe der Rolle unbedingt nötig sind, gleichzeitig unter dem Aspekt der Kommunikation vorzüglich dazu geeignet sind, die von dem Darsteller beanspruchten Eigenschaften und Fähigkeiten sichtbar zu machen. Die Rollen des Preisboxers, des Chirurgen, des Violinisten und des Polizisten sind gute Beispiele dafür. Diese Tätigkeiten erlauben ein solches Maß an dramatischem Ausdruck, daß vorbildliche Praktiker – in der Wirklichkeit oder in Romanen – berühmt werden und einen besonderen Platz in den kommerziell organisierten Träumen der Nation einnehmen.
In zahlreichen Fällen stellt aber die dramatische Gestaltung der eigenen Arbeit ein Problem dar. Als Beispiel kann ein Abschnitt aus einer Untersuchung der Arbeitsbedingungen in einem Krankenhaus zitiert werden. Hier wird ein spezifisches Problem des Pflegepersonals für nicht operativ behandelte Patienten sichtbar:
Die Dinge, die eine Krankenschwester im Operationssaal für einen frisch operierten Patienten tut, haben häufig eine auch für den Patienten erkennbare |61|Bedeutung, auch wenn dieser mit dem Funktionsablauf eines Krankenhauses nicht vertraut ist. So sieht der Patient beispielsweise, daß die Krankenschwester seine Verbände wechselt oder orthopädische Apparate reguliert, und kann erkennen, daß es sich um eine sinnvolle Tätigkeit handelt. Auch wenn sich die Krankenschwester nicht direkt mit ihm beschäftigt, weiß er ihre Tätigkeit zu schätzen.
Auch Pflege und die Behandlung mit Medikamenten ist eine Arbeit, die große Vorkenntnisse verlangt … Die Diagnose des Internisten muß sich auf sorgfältige Beobachtung der Symptome über einen längeren Zeitraum stützen, während die des Chirurgen viel stärker von sichtbaren Faktoren abhängig ist. Der Mangel an Sichtbarkeit wird hier für das Pflegepersonal zum Problem. Der Patient sieht, wie die Stationsschwester am Nachbarbett stehenbleibt und einen Augenblick plaudert. Er weiß nicht, daß sie Atmung und Gesichtsfarbe des anderen Patienten beobachtet. Er glaubt, sie besuche ihn. Das gleiche glaubt bedauerlicherweise seine Familie, die daraufhin diese Krankenschwester nicht besonders respektiert. Wenn sich die Krankenschwester länger am Nachbarbett aufhält als an seinem eigenen, mag sich der Patient vernachlässigt fühlen … Man meint, die Krankenschwestern verschwenden ihre Zeit, wenn sie nicht umherrennen und etwas Sichtbares tun, etwa eine Spritze geben.
Ebenso kann es den Inhabern von Dienstleistungsbetrieben schwerfallen, das, was wirklich für den Kunden geschieht, wirkungsvoll vor Augen zu führen, weil der Kunde die laufenden Kosten der Dienstleistung nicht „sehen“ kann. Leichenbestatter müssen deshalb sehr viel für ihre sichtbare Leistung – einen Sarg, der in einen Sarkophag verwandelt wird – verlangen, weil zahlreiche andere Unkosten bei der Durchführung einer Beerdigung nicht so sichtbar gemacht werden können. Auch Kaufleute müssen hohe Preise für Gegenstände verlangen, die teuer aussehen, um Unkosten, die der Kunde nicht sieht, wie Versicherung, Umsatzstockungen und dergleichen, auszugleichen.
Die Darstellung der eigenen Arbeit vor den Augen anderer besteht nicht allein darin, unsichtbare Kosten in sichtbare zu verwandeln. In vielen Fällen ist die Tätigkeit einer Person von einem bestimmten sozialen Rang so wenig dazu geeignet, diesen Rang offenbar zu machen, daß der Darsteller einen |62|beachtlichen Teil seiner Energie auf die Aufgabe verwenden muß, seine Rolle wirkungsvoll zu gestalten, und diese auf die Übermittlung gerichtete Tätigkeit verlangt häufig gerade andere Eigenschaften als die, die dramatisch dargestellt werden sollen. So muß etwa der Hausbesitzer, um ein Haus so einzurichten, daß es ruhige und schlichte Würde repräsentiert, auf Auktionen rennen, mit Antiquitätenhändlern feilschen und alle Läden am Ort nach geeigneten Tapeten und Vorhangstoffen durchstöbern. Will er eine Ansprache im Radio halten, die wirklich zwanglos, spontan und natürlich wirkt, ist der Sprecher genötigt, sein Manuskript sorgfältig vorzubereiten und Satz für Satz zu prüfen, um die Aussage entsprechend zu formulieren, sich dem Rhythmus und der Geschwindigkeit der Alltagssprache anzupassen. Ebenso ist ein Photomodell von ‚Vogue‘ imstande, durch Kleidung, Haltung und Gesichtsausdruck Verständnis für das Buch auszudrücken, das es in der Hand hält; aber diejenigen, die sich so sehr um den angemessenen Ausdruck bemühen, finden meistens sehr wenig Zeit zum Lesen. Wie Sartre schreibt:
Der aufmerksame Schüler, der aufmerksam sein will, den Blick an den Lehrer geheftet, die Ohren weit aufgetan, erschöpft sich damit, den Aufmerksamen zu spielen, derart, daß er schließlich gar nichts mehr hört.
So findet sich der Einzelne häufig im Widerstreit zwischen Ausdruck und Handeln. Gerade diejenigen, die genügend Zeit und Talent haben, eine Aufgabe gut zu erfüllen, haben manchmal deswegen weder die Zeit noch das Talent, anderen vorzuführen, wie gut sie sie erfüllen. Man kann sagen, daß einige Betriebsorganisationen dieses Dilemma so lösen, daß sie die dramatische Funktion offiziell einem Spezialisten übertragen, der seine Zeit darauf verwendet, die Bedeutung der Aufgabe auszudrücken, und keine Zeit darauf, sie tatsächlich zu erfüllen.
Wenn wir nun zunächst von einem anderen Bezugspunkt ausgehen und uns statt der Darstellung selbst dem Darsteller zuwenden, können wir interessante Beobachtungen über den Bereich verschiedener Rollen machen, an denen eine Gruppe oder Klasse von Individuen als Darsteller teilnimmt. Untersucht man eine Gruppe oder Klasse, so wird man feststellen, daß ihre Mitglieder dazu neigen, besonders ihre Vorstellungen von sich selbst in bestimmte Rollen zu kleiden und den anderen Rollen, die sie ebenfalls spielen, |63|weniger Bedeutung beizumessen. So kann ein Berufstätiger durchaus bereit sein, auf der Straße, in einem Geschäft oder zu Hause eine sehr bescheidene Rolle zu übernehmen, wird aber in dem Bereich, in dem er seine beruflichen Fähigkeiten zu beweisen hat, großen Wert darauf legen, sich wirksam in Szene zu setzen. Bei der Mobilisierung seines Verhaltens, soweit es der Schaustellung dient, macht er sich wenig Gedanken über den gesamten Bereich der verschiedenen Rollen, die er spielt, ist aber sehr um die eine Rolle besorgt, auf der seine berufliche Einschätzung basiert. An Hand dieses Kriteriums unterscheiden einige Autoren Gruppen mit aristokratischen Lebensgewohnheiten von Gruppen mittelständischen Charakters (unabhängig von ihrem Sozialstatus). Als aristokratisches Verhalten wird hier ein Habitus bezeichnet, der alle kleineren Tätigkeiten des Lebens, die außerhalb der speziellen Rollen anderer Klassen liegen, kultiviert und ihnen den Ausdruck des Charakters, der Macht und hohen Ranges verleiht.
Welche bedeutenden Fertigkeiten werden dem jungen Adligen beigebracht, um die Würde seines Ranges aufrechtzuerhalten und sich jener Überlegenheit über seine Mitbürger würdig zu erweisen, zu der ihn die Tugend seiner Ahnen erhoben hat? Geht es um Wissen, um Fleiß, um Geduld, um Entsagung oder um Tugend irgendwelcher Art? Da alle seine Worte, alle seine Bewegungen beobachtet werden, erlernt er eine selbstverständliche Aufmerksamkeit allen Situationen des täglichen Lebens gegenüber und bemüht sich, alle diese kleinen Pflichten mit größter Korrektheit zu erfüllen. Da er weiß, wie sehr er beobachtet wird und wie bereit die Menschen im allgemeinen sind, sich seinen Neigungen gewogen zu erweisen, handelt er auch bei den unwichtigsten Anlässen mit jener Freiheit und Erhabenheit, die diese Gewißheit ganz natürlich hervorruft. Seine Miene, seine Art, sein Benehmen – sie alle bekunden durch Gewandtheit und Grazie die eigene Überlegenheit, die diejenigen, die zu niederem Stand geboren sind, wohl niemals erreichen können. Dies sind die Künste, durch die er erreichen will, daß sich die Menschen seiner Autorität leichter unterwerfen und sich nach seinen Wünschen lenken lassen, und er wird hierin nur selten enttäuscht. Diese Künste genügen im gewöhnlichen Leben, wenn sie von Stand und anderen äußeren Vorrechten unterstützt werden, um die Welt zu regieren.
|64|Existieren derartige Darstellungskünstler tatsächlich, so bilden sie sicher eine sehr geeignete Gruppe, an der man die Fertigkeiten studieren kann, durch die Tätigkeit zur Schaustellung wird. […]
Ausdruckskontrolle
Wie schon angedeutet kann sich der Darsteller darauf verlassen, daß sein Publikum kleine Hinweise als Zeichen für wichtige Momente der Vorstellung annimmt. Diese bequeme Tatsache hat eine unbequeme Folge. Auf Grund eben dieser Neigung des Publikums, Zeichen zu deuten, kann es die Hinweise mißverstehen oder zufällige beziehungsweise versehentliche Gesten und Ereignisse, die nach dem Willen des Darstellers keinerlei Bedeutung übermitteln sollten, falsch interpretieren.
Um diesen Komplikationen bei der Kommunikation zu begegnen, versuchen die Darsteller im allgemeinen, sich zu vergewissern, daß möglichst viele Nebenereignisse innerhalb der Darstellung, wie unwichtig sie auch sein mögen, so eintreten, daß sie entweder überhaupt keinen Eindruck oder den machen, der mit der allgemeinen Definition der Situation vereinbar ist. Wenn wir wissen, daß das Publikum insgeheim der Realität, die ihm aufgezwungen wird, skeptisch gegenübersteht, können wir seine Neigung, die kleinsten Fehler als Anzeichen dafür zu nehmen, daß das ganze Schauspiel unwahr ist, leicht verstehen; aber daß auch unvoreingenommene Zuschauer durch die Entdeckung einer winzigen Unstimmigkeit in dem ihnen übermittelten Eindruck gestört, empört und in ihrem Glauben erschüttert werden können, ist für den Beobachter des sozialen Lebens schon schwieriger zu verstehen. Manche dieser kleineren Mißgeschicke und ungewollten Gesten sind so sehr dazu angetan, einen Eindruck zu erwecken, der im Gegensatz zu dem vom Darsteller geschaffenen steht, daß das Publikum gegen seinen Willen aus der Teilnahme an der Interaktion herausgerissen wird, auch wenn es bei einiger Überlegung einsieht, daß das störende Ereignis wirklich bedeutungslos war, und übersehen werden sollte. Der springende Punkt liegt nicht darin, daß die flüchtige Deutung der Situation, die durch eine ungewollte Geste geschaffen wird, in sich besonders tadelnswert wäre, sondern eher darin, daß sie von der vorher entworfenen Definition abweicht. Diese Abweichung treibt einen äußerst störenden Keil zwischen den allgemein |65|anerkannten Entwurf und die Realität, denn es gehört gerade zur Projektion, daß sie als die unter den gegebenen Umständen einzig mögliche akzeptiert werden kann. Vielleicht sollten wir also Darstellungen nicht mechanisch beurteilen, als könne auch hier ein großer Gewinn einen kleinen Verlust ausgleichen. Eine Metaphernsprache aus dem Bereich der Kunst wäre angemessener; denn sie weist uns auf die Tatsache hin, daß eine einzige Note in der falschen Tonart den Klang eines ganzen Konzerts zerstören kann.
In unserer Gesellschaft treten einige ungewollte Gesten in so verschiedenartigen Darstellungen auf und vermitteln Eindrücke, die so unvereinbar mit den gewünschten sind, daß diese Mißgeschickte innerhalb der Gesellschaft eine symbolische Bedeutung angenommen haben. Wir können drei Hauptgruppen derartiger Ereignisse erwähnen. Erstens mag ein Darsteller ungewollt Unfähigkeit, schlechtes Benehmen oder mangelnden Respekt beweisen, indem er momentan die Muskelkontrolle über sich selbst verliert. Er mag stolpern und fallen, rülpsen, gähnen, sich versprechen, sich kratzen oder Wind lassen; er mag jemanden versehentlich stoßen. Zweitens mag der Darsteller den Eindruck erwecken, er sei entweder zu stark oder zu wenig an der Interaktion beteiligt. Er mag stottern, seinen Text vergessen, nervös oder schuldbewußt wirken, befangen sein; er mag im ungeeigneten Augenblick in Gelächter ausbrechen, Wutanfälle haben oder sonst Affekten nachgeben, die ihn als Teilnehmer an der Interaktion disqualifizieren. Drittens mag die Wirkung des Darstellers durch mangelhafte Inszenierung beeinträchtigt sein: Das Bühnenbild ist nicht oder für die falsche Vorstellung aufgebaut worden, es gerät im Verlauf der Vorstellung in Unordnung, unvorhergesehene Zufälle verschieben Auftritt und Abgang des Darstellers auf den falschen Zeitpunkt, oder es entstehen peinliche Pausen in der Interaktion. […]
Unwahre Darstellungen
Wie schon erwähnt, kann das Publikum sich in einer Situation dadurch orientieren, daß es den Hinweisen der Darsteller Vertrauen schenkt und sie als Anzeichen für etwas Größeres als die Zeichen selbst, bzw. als etwas von diesen Unterschiedenes behandelt. Besteht nun einerseits wegen dieser |66|Neigung des Publikums, Zeichen zu deuten, für den Darsteller die Gefahr, mißverstanden zu werden, und wird er gezwungen, bei allem, was er in Gegenwart seiner Zuschauer tut, darüber zu wachen, was sein Tun in den Augen der anderen implizieren könnte, so wird andererseits das Publikum durch diese Neigung der Gefahr ausgesetzt, getäuscht und irregeführt zu werden; denn es gibt nur wenige Zeichen, die nicht mißbraucht werden könnten, um die Existenz von etwas, das in Wirklichkeit nicht vorhanden ist, zu beweisen. Es ist auch klar, daß viele Darsteller sowohl die Fähigkeit als auch Grund dazu hätten, die Tatsachen falsch darzustellen; nur Scham, Schuldgefühl oder Furcht hindern sie daran, dies zu tun.
Als Zuschauer können wir natürlich spüren, ob der Eindruck, den der Darsteller erwecken will, wahr oder falsch, echt oder unecht, gültig oder „gemacht“ ist. Derartige Skepsis ist so gang und gäbe, daß wir, wie schon angedeutet, unser Augenmerk primär oft gerade auf die Elemente der Darstellung richten, die nicht ohne weiteres manipulierbar sind, um uns ein Urteil über die leichter zu fälschenden Hinweise bilden zu können. (Wissenschaftliche Polizeiarbeit und Testversuche sind extreme Beispiele dafür.) Und wenn wir auch nur zögernd dazu bereit sind, gewisse Statussymbole als Berechtigungsnachweise dafür anzuerkennen, daß der Darsteller nur in einer bestimmten Art behandelt werden darf, so sind wir doch zugleich immer dazu bereit, uns auf die Lücken in seiner Verschanzung zu stürzen, um seine Ansprüche unglaubwürdig zu machen.
Denken wir an diejenigen, die eine falsche Fassade oder „nur“ eine Fassade präsentieren, die sich verstellen, uns täuschen und betrügen, so denken wir an Unstimmigkeiten zwischen dem erweckten Anschein und der Wirklichkeit. Zugleich denken wir an die gefährliche Lage, in die sich diese Darsteller gebracht haben; denn in jedem Augenblick ihrer Vorstellung kann ein Ereignis eintreten, das sie entlarvt und das dem widerspricht, was sie öffentlich behauptet haben, und sie werden dadurch gedemütigt und verlieren vielleicht sogar für immer ihren guten Ruf. Wir haben oft das Gefühl, gerade dieser erschreckenden Möglichkeit, in flagranti bei einem offensichtlichen Täuschungsakt ertappt zu werden, könne sich der aufrichtige Darsteller entziehen. Diese allgemein verbreitete Ansicht ist aber nur begrenzt richtig.
|67|Wenn wir danach fragen, ob ein Eindruck, den einer erweckt hat, wahr oder falsch sei, meinen wir manchmal tatsächlich, ob der Darsteller das Recht habe, die jeweilige Vorstellung zu geben oder nicht; wir sind also nicht primär an der Darstellung selbst interessiert. Entdecken wir, daß jemand, mit dem wir zu tun haben, ein Betrüger oder offenkundiger Schwindler ist, so beinhaltet diese Entdeckung, daß er nicht das Recht hatte, die Rolle zu spielen, die er gespielt hat. Wir nehmen an, daß die Art, wie sich der Betrüger darstellte, nicht nur seine Person in falschem Licht zeigt, sondern darüber hinaus noch andere Fehler aufweist; aber häufig wird die Maskerade entlarvt, bevor wir irgendeinen Unterschied zwischen der falschen Darstellung und der echten, die sie vortäuscht, entdecken können. Paradoxerweise sind wir um so mehr auf der Hut, je ähnlicher die Darstellung des Betrügers der echten Darstellung ist; denn die gekonnte Darstellung dessen, der sich dann als Betrüger herausstellt, kann in unserem Bewußtsein die moralische Verbindung erschüttern, die zwischen dem Recht, eine Rolle zu spielen, und der Fähigkeit, sie zu spielen, besteht.
Erving Goffman: „Dramatische Gestaltung“, in: ders.: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, Piper Verlag, München, Zürich 1996, S. 31 – 35, S. 48 – 56 (Erstveröffentlichung 1959) (c) 1983 Piper Verlag GmbH, München
Erving Goffman (1922 – 1982) war ein US-amerikanischer Soziologe, der in seinem wichtigsten Werk The Presentation of Self in Everyday Life (Wir alle spielen Theater) das Theater als Modell der sozialen Welt zu Grunde legt. Goffmans Untersuchungen über Verhaltensmuster, Interaktion, Rollendistanz sowie Selbstdarstellung im Alltag haben einen wesentlichen Einfluss auf die moderne Soziologie.