Theater der Zeit

Wanda Golonka

Der Versuch eines Vor-Wortes

von Elisabeth Schweeger

Erschienen in: Wanda Golonka – Tanz Ensemble Modell (04/2010)

Assoziationen: Akteure Tanz Schauspiel Frankfurt

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Die Schärfe in der Unschärfe

Derrida: Ceci est - de l'autre.

Psyche (»autour d'elle, d'un savoir si exact et si cruel«)

Freud: Psyche ist ausgedehnt: weiß nichts davon

 

Wanda Golonka ist eine jener Künstlerinnen, die zwischen allen Terrains jongliert, alles mit einbezieht und aufsaugt: das Banale wie das Außergewöhnliche, das Unmögliche wie das Alltägliche. Sie entwickelt dabei eine Sprache, die stets Essentielles schafft, indem sie konsequent Theaterarbeit als eine Recherche betreibt. Es ist eine Suche im Oben und im Unten, im Vordergründigen und im Unergründlichen, im Raum, im Licht, im Ton und im Klang, in der Bewegung, in der Literatur, im Film, im Gespräch, im Bild, in der Werbung, im Innen und Außen, im Tasten, im Vermuten. Sie stellt Fragen, mal kryptisch, mal komisch, immer intensiv, immer alles vereinnahmend, die sie durch und mit den anderen formuliert.

»Ceci est - de l'autre« übertitelt Derrida einen ganzen Abschnitt seines Buches »Le Toucher« über Jean-Luc Nancy - und könnte auch auf Wanda Golonka zutreffen. »Es ist - vom anderen«: Golonkas Schaffen ist gezeichnet von einem Kunstverständnis, das nicht produzieren will, sondern Leerräume erzeugt, in denen ungewöhnliche Erfahrungen möglich werden, sowohl für den Betrachter als auch für den Betrachteten. Der Raum bleibt hierbei in ständiger Bewegung, wird zum Ort einer konsequenten Hinterfragung, navigiert in den Zwischenräumen und sucht den anderen, erfasst ihn, holt sein Eigenes an die Oberfläche. Ohne diesen anderen ist Wanda Golonkas Arbeit nicht - und sie folgt dabei ganz dem klugen, alten Wissen, dass man selbst sich nur erkennt durch den anderen.

Sie schreibt sich in die aktuelle Gedächtnisbildung ein und bildet mit einer Vielzahl aus Elementen ein »Ensemble« - ein Ganzes. Man könnte ihre künstlerische Recherche als eine Annäherung beschreiben, als eine Abfolge von Abzweigungen, die einen Weg markieren. Mitunter ist es ihr Mut zur Unschärfe, der die Dinge plötzlich glasklar erscheinen lässt. Mit Feingespür deckt sie Strukturen, Biographien, Geschichte auf, lässt Erinnerung und Jetztzeit sinnlich werden und führt alle Elemente, alle Träger, aus denen Leben zu verstehen sein könnte, in ihren Stücken zueinander.

Alle, die in diesem Buch schreiben, sprechen, abgebildet sind, haben Wanda Golonkas Weg nicht nur begleitet, sondern sind Teil ihrer Arbeit, waren Partner, Ermöglicher, Mitwirkende, Einflüsterer. Deshalb entspricht ihre Arbeit einer so fundamental theatralen Erfahrung, die nur und in der Gemeinsamkeit entstehen kann - ein Abbild von Menschengemeinschaft, jedoch ohne sich dabei zu verlieren, zu verbiegen oder gar unterzuordnen. Wanda Golonka ist mit den anderen in sich. Fragen zu stellen an das Gefüge Mensch sind hier eine selbstverständliche Notwendigkeit und die Mittel, die sie dabei zum Einsatz bringt, brechen und bauen Verständnis, immer unerbittlich, immer schön, stets zärtlich. Eine konsequente Rebellin, eine Sucherin in Zeit und Raum und Menschsein.

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