Auftritt
Prinz Regent Theater Bochum: Kafka pur – zumindest fast
„Der Prozess“ nach dem Roman von Franz Kafka in einer Fassung von Remo Philipp –Regie Remo Philipp, Bühne und Kostüme Clara Eigerdinger, Licht, Musik und Sounddesign Dennis Philipp, Video Clemens Malinowski
von Stefan Keim
Assoziationen: Theaterkritiken Nordrhein-Westfalen Jonny Hoff Prinz Regent Theater Bochum
Es gibt kaum noch einen Spielplan ohne Literaturbearbeitung. Manche Theater scheinen schon vergessen zu haben, dass es Menschen gibt, die direkt für die Bühne schreiben, sogenannte Stücke. Gelegentlich kommt es vor, dass diese Menschen – also Dramatiker:innen – sich selbst Romane und Erzählungen vornehmen, um daraus Bühnenbearbeitungen zu machen. Dann legen sie Wert darauf, dass die Texte einen eigenen Touch bekommen, dass sie als – zumindest – Ko-Autor:innen erkennbar sind. In den Inszenierungen werden diese Fassungen ohnehin meist aufgebrochen, kommentiert, mit politischer Gegenwart und persönlichen Probenerlebnissen versetzt. Die Zeit scheint vorbei, in der sich noch höchst erfolgreich ein Dramatiker zum Beispiel durch das Gesamtwerk Thomas Manns johnvondüffelt. Doch nun zeigt das prinz regent theater in Bochum eine weitgehend text- und gedankentreue Adaption von Franz Kafkas „Der Prozess“.
Regisseur Remo Philipp verzichtet auf Neudichtungen und große Eingriffe. Er hat den Roman dramaturgisch geschickt auf zwei Spielstunden eingedampft und auf zwei Schauspieler verteilt. Der eine – Jonny Hoff – ist Josef K., der eines Morgens vor dem Frühstück verhaftet und angeklagt wird. Er weiß nicht, weswegen, er weiß nicht, was nun passiert. Irgendwie läuft sein Leben weiter, aber es hängt eine Bedrohung in der Luft. Alle Versuche, sich zu befreien, laufen ins Leere. Wie das System funktioniert, bleibt rätselhaft. In der Ungreifbarkeit liegt seine Macht.
Die Zeitlosigkeit dieser Geschichte ist klar. Josef K. ist eine Stellvertreterfigur für sehr viele, ein Mann ohne Eigenschaften. Kein leichter Job für einen Schauspieler, sich als Projektionsfläche zur Verfügung zu stellen und dabei stets präsent zu bleiben. Eben das gelingt Jonny Hoff mit großer Offenheit. Er ist mal mutig, mal verzagt, schöpft Hoffnung, verliert sie – aber das alles sind kleine Veränderungen, keine Ausbrüche. Nicolas Martin hingegen kann aufdrehen, denn er spielt fast alle anderen Figuren, Advokaten und Richter, junge Frauen und den Maler Titorelli. Die Dynamik zwischen den beiden ähnelt ein wenig der zwischen Faust und Mephisto.
In der Aufführung gibt es noch zwei andere Figuren (Kerstin Sommer und Dennis Philipp). Sie durchbrechen am Anfang die vierte Wand und begrüßen das Publikum und spielen zwischendurch eine kleine Slapstickszene, in der jemand von einem Rasenmäher überfahren wird. Also doch kurze Zutaten zum Roman, stumme clownesk-groteske Zwischenspiele, die aber nicht richtig greifen. Auf der Bühne sind zwei Zelte zu sehen, auf eins werden Videos projiziert. Auch das wirkt etwas beliebig. Atmosphärisch stimmig hingegen sind eingestreute Songs zur Gitarre.
So ist der „Prozess“ im Prinz Regent Theater kein durchweg überzeugender Abend, aber durch das intensive Spiel von Jonny Hoff und Nicolas Martin absolut lohnend. Er beweist, dass die Regie nicht immer zeigen muss, welche Assoziationen ihr so durch den Kopf schießen. Wenn es hier doch einmal passiert, sind das nicht die stärksten Momente. Manchmal ist die Konzentration auf den ursprünglichen Text zielführend, vor allem wenn es sich um ein literarisches Meisterwerk handelt.
Erschienen am 3.12.2024