Irak
Ein theatrales Vagabundenleben – der irakische Regisseur und Schauspieler Monadhil Daood
von Arifa Akbar
Erschienen in: Recherchen 104: Theater im arabischen Sprachraum – Theatre in the Arab World (12/2013)
Monadhil Daood hat eine starke physische Präsenz. Er ist nicht besonders groß, aber er ist von einer beherrschenden Art. Er lacht mit den Augen und seine Stimme ist tief und ausdrucksstark. Wenn er sie erhebt, dröhnt sie gefühlvoll und schlägt das Publikum in Bann. Es ist nicht überraschend, dass er sich – neben seiner Arbeit als Dramatiker und Theaterregisseur auf Bühnen in Paris, London, New York, Tokio, Washington, Amsterdam und im Nahen Osten – immer auch als Schauspieler betätigt hat.
Er zählt zu den bekanntesten irakischen Darstellern im arabischen Fernsehen. Er ist in zahlreichen Sendungen zur Hauptfernsehzeit aufgetreten; besonders bekannt wurde er durch seine Rollen als Mafiaboss in einer Gangsterserie und als Polizeichef bei den Kundgebungen auf dem Tahrir-Platz in Kairo 2011, was einen kleinen Aufruhr im Irak verursachte.
In der Zwischenzeit hat ihm seine Bühnenkarriere in seiner Heimatstadt Bagdad ebenso viel Kritik wie Anerkennung eingebracht. Aus Bagdad war er nach der Mitwirkung in einem politisch aufrührerischen Stück im Alter von 21 Jahren geflohen. Damals war ihm noch nicht klar, dass diese Kühnheit ihn in ein nahezu dreißigjähriges Exil führen würde, das erst 2003 mit dem Sturz Saddam Husseins endete, als er in den Irak zurückkehrte.
Dennoch insistiert Daood darauf, dass er kein politisches Theater macht. Liebe, nicht Politik, war das Thema seiner letzten Produktion – einer Shakespeare-Adaption mit dem Titel Romeo und Julia in Bagdad –, und Liebe stand im Zentrum des Stücks, trotz des ausgebombten Hintergrundes, der Maschinengewehrsalven, der Gürtel der Selbstmordattentäter und der Gewalt zwischen Sunniten und Schiiten, die die Häuser der Montague und Capulets entzweit, die Daood in einem Bagdad nach der amerikanischen Invasion angesiedelt hat.
„Ich möchte nicht darüber diskutieren, ob ich politisches Theater mache“, sagt er. „Theater ist Konflikt. Doch die Frage, die ein Regisseur stellen muss, ist: ‚Welchen Konflikt möchte ich zeigen?‘ Meine Botschaft in diesem Stück ist, dass die Liebe besser ist als der Konflikt zwischen den Familien.“
Das Thema Konflikt hat Daood sowohl im Theater als auch in der realen Welt von Beginn an begleitet – seit einem Antikriegsstück, das er während des Iran-Irak-Krieges in den frühen 1980er Jahren als Student an der Kunstakademie in Bagdad realisiert hat.
“Romeo and Juliet in Baghdad” – Monadhil Daood. © Iraqi Theatre Company
Da er gezwungen war, im Ausland zu leben und zu arbeiten, gestaltete sich seine Karriere peripatetisch, die ihn in den Iran, nach Syrien, Schweden und Russland führte. Zu Beginn seines Exils arbeitete er abwechselnd als Portier, Schneider und als Verleger eigener Werke in Teheran. In Damaskus etablierte er sich wieder als Dramatiker, bevor er nach Russland ging, wo er seine kritische Theorie des arabischen Theaters entwickelte. Die Rückkehr in seine Heimat im Jahr 2003 war, so sagt er, eine sehr emotionale Erfahrung, sowohl persönlich als auch beruflich.
„Für den Irak war 2003 wie eine Wiedergeburt. Es war ein sehr heißer Sommer, und ich traf meine Freunde wieder. Wir saßen in einem Café und tranken Tee. Sie waren sehr müde und arm, aber voller Energie, und wir redeten und redeten. Diese Energie habe ich in keinem anderen Land so gefühlt. Sie sprachen über die Zukunft, über das Theater, über Politik. Es war der Beginn einer neuen Epoche.“
2008 gründete Daood die Iraqi Theatre Company mit dem Ziel einer Wiederbelebung der verkümmerten nationalen Theatertradition. Seitdem spielt er im Irak eine Schlüsselrolle; auf seine Produktionen reagiert das Publikum mit echter Begeisterung. Seine Theaterwurzeln blieben trotz seines Internationalismus stets in der arabischen Tradition verankert, und er sagt, dass er seine jüngsten Produktionen primär für das irakische Publikum geschaffen hat.
Der 52-jährige Daood hat einige Stücke Shakespeares bearbeitet, darunter eine irakische Version des Hamlet. Seine letzte Produktion, Romeo und Julia in Bagdad, wurde in Bagdad und beim World Shakespeare Festival 2012 in London und Stratford-upon-Avon aufgeführt. Für dieses Stück hat er Shakespeares Originaltext aus dem 16. Jahrhundert in moderne irakische Umgangssprache übertragen, um seine Anziehungskraft zu steigern und ihn sprachlich einem großen Publikum zugänglich zu machen. Anstatt den Text ins Hocharabische zu übersetzen, der Sprache der kulturellen Elite, entschied er sich für das irakische Arabisch, wie es von den Leuten auf der Straße gesprochen wird: „Ich mag im Theater keine hochgestochene Sprache. Ich brauche eine sehr einfache und klare Sprache. Ich will die Handlung verständlich machen, und dafür muss ich die Sprache Shakespeares verändern.“
„Die Sprache des Dichters brauche ich nicht; ich brauche die Sprache der Leute. Das Publikum muss es verstehen und erleben können. Ich kann kein Theater nur für die wenigen Gebildeten machen. Es ist für alle da. Shakespeare gibt nur die Leitlinien vor – Shakespeares Text mache ich selbst.“
Daneben hat er aktuelle Themen eingebunden mit klarem Bezug zur gegenwärtigen Lage im Irak. Julias Vater, Capulet, trägt die rot-weiß-karierte Kufiya der Sunniten, Montague das gewöhnlich von Schiiten getragene schwarz-weiße Tuch. Ein Selbstmordattentat fordert die Leben von Romeo und Julia, nicht Gift oder Dolch. Im Text finden sich verstreute Hinweise zur (umstrittenen) Sicherheitsfirma Blackwater und zu den amerikanischen Anstrengungen beim Wiederaufbau. Die Schlussszene spielt in der Sayidat al-Nejat-Kathedrale in Bagdad, die bei einem Selbstmordattentat von Al-Qaida-Terroristen zerstört worden war.
Daood vermischt Altes mit Neuem. Er benutzt das alte Motiv des fliegenden Teppichs über den Trümmern des modernen Bagdad, auf das die Figuren einen flüchtigen Blick werfen, als sie darüber hinwegfliegen. Er entfernt hingegen die sexuelle Metaphorik aus dem Monolog Mercutios über Frau Mab, sodass dieser für das konservative irakische Publikum weniger provokativ klingt, und ersetzt ihn durch eine alte Volkssage über einen Käfer auf der Suche nach einem Gemahl. Er betrachtet keine dieser Adaptionen als Entstellungen des Originaltextes.
„Als ich Romeo und Julia wieder las, dachte ich: Das ist wie Familienleben in Bagdad. Wir mussten viele Dinge im Text ändern, aber darunter kommen dieselbe Geschichte und dieselben Charaktere zum Vorschein, nur mit irakischen Gefühlen, irakischer Musik, irakischer Kleidung und irakischen Problemen.“
Daoods Vater war ein kommunistischer Politiker und hatte großen Einfluss auf das Theaterschaffen seines Sohnes. „Er war mein erster Lehrer, als ich mit dem Theaterstudium begann“, sagt Daood. Seine Abschlussarbeit an der Universität war ein Text des ägyptischen Dramatikers Abdul Rahman Alsharqawi, Ein Junge namens Mehran, dessen Protagonist sich einem Diktator durch sein Nein zum Krieg widersetzt.
„Wieso habe ich diesen Text gewählt? – Ich musste etwas sagen, das politisch, human, kulturell und religiös zugleich war. Theater ist all dies.“
Die Form des Stücks war so radikal wie sein Inhalt. Daood positionierte die Bühne neu, sodass die Trennung zwischen Darstellern und Publikum aufgehoben war. „Ich veränderte die Lage des Publikums, stellte ihre Sitze auf (gleiche Höhe wie) die Bühne. Das Bühnenportal trennte sie nicht mehr. Das Publikum saß auf der Bühne neben den Schauspielern.“
Das Stück war ein furchtloser Versuch freier Meinungsäußerung, doch es brachte das Regime gegen Daood auf. Es gab drei ausverkaufte Vorstellungen, an deren Ende alle Beteiligten – Daoods Familie, die Schauspieler, Studenten und Lehrer – Angst hatten vor den Konsequenzen. „Während ich spielte, fühlte ich, dass es sehr gefährlich war. Es ging um den Krieg. Ich fühlte, dass das Publikum das Stück liebte, aber es war auch verängstigt.“ Nachdem Saddams Geheimdienstoffiziere auf dem Universitätscampus Nachforschungen über ihn anstellten, floh Daood über die Grenze, zunächst in den Iran, dann nach Syrien.
Zu seinem frühen Bildersturm, der auch den weiteren Verlauf seiner Karriere markierte, hatte ihn Kassim Mohamed, sein Lehrer an der Kunst-Universität, ermutigt, den Daood seinen zweiten Vater nennt. „Er hatte in Moskau studiert, und nach seiner Rückkehr nach Bagdad hat er das Theater im Irak verändert. Er benutzte die arabische Tradition, widmete sich aber auch den vergessenen Aspekten des täglichen Lebens und ermutigte uns dazu, unsere eigenen Konflikte auf die Bühne zu bringen und uns in der Welt nach allem umzusehen, was wir für das Theater bearbeiten könnten.“
Während seiner Zeit in Damaskus kam Daood mit einigen Prinzipien in Berührung, die der polnische Regisseur Jerzy Grotowski in seinem Konzept des Armen Theaters formuliert hatte. Grotowskis Betonung der physischen Präsenz des Darstellers auf der Bühne als Essenz der theatralen Situation sprach Daood außerordentlich an – ebenso wie die Demontage der Inszenierung, die alle Ablenkungen von der Bühne fernhielt. Damit wurde die Beziehung zwischen Schauspielern und Publikum in den Mittelpunkt gerückt. Mit diesem Prinzip im Sinn inszenierte Daood die auf der Figur des antiken griechischen Brandstifters Herostratus basierende Tragikomödie Vergesst Herostratus! des russischen Dramatikers Grigori Gorin. Um sich aller kunstvollen Theatertricks zu entledigen und den Schwerpunkt auf die Beziehung zwischen Schauspielern und Publikum zu legen, führte er das Stück auf einem Basketballplatz auf.
„Ich setzte die Zuschauer in die vier Ecken und baute ein arabisches Zelt. Die Darsteller waren in der Mitte. Zu dieser Zeit mochte ich Grotowski, folgte jedoch nicht jeder seiner Empfehlungen. So sagte er, dass wir ein besonderes Publikum von nicht mehr als zehn bis fünfzehn Leuten brauchten. Ich mochte das Arme Theater, aber mein Publikum sollte so groß wie möglich sein.“
Daood veränderte auch das Stück, sodass man einen Bezug zum heutigen Irak erkennen konnte. „Ich änderte das Ende und nahm alle Hoffnung aus dem Spiel. Herostratus tötete jeden. Es war der griechische Mythos, aber er war so modifiziert, dass gleichzeitig die Zukunft Bagdads in den Blick kam. Meine Botschaft lautete: ‚Saddam wird alles im Irak töten und verbrennen.“
Daoods Dissertation wurde in St. Petersburg fertiggestellt und unter dem Titel Das Theater im Irak veröffentlicht. Sie kombiniert ausgewählte Elemente des Armen Theaters mit dem irakischen Ta‘zieh-Ritual. Dabei handelt es sich um die theatrale Nachstellung der Geschichte der beiden wichtigsten Figuren der schiitisch-islamischen Geschichte: Ali, der als erster von Gott anerkannter Imam angesehen wird, also als Nachfolger des Propheten Mohammad, und Husain. Das Schlüsselereignis in der schiitischen Geschichte ist das Martyrium von Alis Sohn Husain in der Schlacht von Kerbela im Jahr 680. Husain symbolisiert den Widerstand gegen die Tyrannei. Jedes Jahr versammeln sich schiitische Muslime, um diese Schlacht im Ritual des Ta‘zieh symbolisch zu wiederholen.
„Diese Tradition ist wichtig im arabischen Theaterleben. Manchmal höre ich Leute über Araber sagen, sie hätten keine Theatertradition und müssten sie aus Europa importieren, aber ich finde, wir haben eine sehr starke Tradition. In meiner Doktorarbeit habe ich gesagt, dass wir es nicht nötig haben, uns auf Aristoteles zu beziehen oder auf Grotowski oder auf Peter Brook. Wir müssten über unser Theater sprechen, das auf alten Ritualen basiert.“
Daood sagt, dass seine Zeit in Russland für die Entdeckung dieses Fundaments in der arabischen Theatertradition ebenso ausschlaggebend war wie für seine eigene Entwicklung als Theaterregisseur. „Russland hat mich viel über das Drama gelehrt: wie man Schauspieler und Regisseur wird. Es hat meine Arbeit auf der Bühne ästhetisch verfeinert.“ Dort arbeitete er mit zahlreichen Dramatikern zusammen und studierte verschiedene Stilrichtungen – eine der wichtigsten war die von Lev Dodin, dessen Werk und Arbeitsweise er interessiert verfolgte.
„In meinem ersten Jahr dort konnte ich kein Russisch, aber wenn ich Dodins Stücke sah – von denen manche sieben Stunden dauern – habe ich alles verstanden. Manchmal geht man ins Theater und braucht die Übertitelung, um das Stück zu verstehen, aber hier haben die Schauspieler alles erklärt, denn sie sprachen in der Sprache des Dramas. Man hat gefühlt, was auf der Bühne geschah.“
Seine Rückkehr in die Bagdader Theaterszene war zwiespältig und brachte ihm sowohl Anerkennung als auch Frustration. Einerseits spürte er, dass er zu seiner ersten, prägenden Kultur zurückgekehrt war, andererseits erkannte er, dass sie sich künstlerisch nicht entwickelt hatte und darunter litt. „Saddam hat die Mittelschicht zerstört, das Theater kastriert und die Kultur zugrundegerichtet. Von 1985 an bis zu seinem Sturz war das Theater hauptsächlich Propaganda: komödienhaft und ohne Ecken und Kanten.“ „Aufgrund der Ausgangssperren zwischen 2004 und 2008 mussten wir unsere Vorstellungen am Mittag zeigen. Hinzu kam, dass das Publikum nach schlechtem Theater verlangte, da es mit Familiendramen aus Fernsehserien aufgewachsen war.“
Hier ist Bagdad war seine erste Produktion mit der Iraqi Theatre Company. Schnell lernte er, mit den Einschränkungen der Theaterpraxis in einem vom Krieg erschütterten Land umzugehen. Das Thema des Stücks stellt den Status quo in Frage; es diskutiert die jüngste Vergangenheit und das Vermächtnis des Diktators. Aufgrund der Auswirkungen des Konflikts in der realen Welt konnte die künstlerische Integrität der Produktion nicht immer aufrechterhalten werden. „Ich habe einen schlechten Zeitpunkt für unsere Proben gewählt. Außerdem war ich mit einer weiteren Produktion beschäftigt, und es fehlte die Zeit, um diese Inszenierung abzuschließen. Das hat mich gelehrt, wie man in Bagdad arbeiten muss, wie man Schauspieler auswählt und die beste Zeit und den besten Ort für die Proben. Ich habe gelernt – oder wieder gelernt – wie man im Irak Regie führt.“
Übersetzt aus dem Englischen: Thomas Schmotz