Essay
Der Populismus der Mitte
von Bernd Stegemann
Assoziationen: Debatte
Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Populismus. Alle Mächte des liberalen Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet“ – so könnte man heute Karl Marx und Friedrich Engels paraphrasieren. Doch der Populismus ist nicht das Gegenteil der liberalen Gesellschaft, er entspringt ihrem eigenen populistischen Charakter. Der Dramaturg Bernd Stegemann beschreibt die Krise des Liberalismus als notwendige Folge von dessen Verflechtung mit den Interessen des Kapitals. Auch das Theater ist in diesem Dilemma gefangen. Stegemanns Buch „Das Gespenst des Populismus. Ein Essay zur politischen Dramaturgie“ ist dieser Tage im Verlag Theater der Zeit erschienen.
Seit einiger Zeit gibt es eine auffällige Inflation von Populismusvorwürfen. Sobald jemand öffentlich zum Beispiel Gefühle von Wut und Enttäuschung aktiviert oder Ungerechtigkeit zugespitzt darstellt, rufen andere: „Populismus!“. Zugleich gibt es eine auffällige Diskrepanz zwischen dem wachsenden Erfolg der Populisten und einem Nachdenken, das in drei Definitionen des Populismus festzustecken scheint: Der Populist gibt einfache Antworten auf komplexe Probleme, er betreibt eine Spaltung von Volk und Elite und er behauptet, einen direkten Draht zum Volk oder zur Wahrheit zu haben.
Da sowohl die Zuspitzung von Konflikten wie auch die Techniken der Überzeugung zum Handwerk demokratischer Politiker gehören, die Mehrheiten...