Theater der Zeit

Auftritt

Freiburg: Die Firma regiert mir ins Bett

Theater Freiburg: „Nicht Fisch nicht Fleisch“ von Franz Xaver Kroetz. Regie Johanna Wehner, Ausstattung Elisabeth Vogetseder

von Bodo Blitz

Erschienen in: Theater der Zeit: Frontmann Hamlet – Der Dresdner Musiker-Schauspieler Christian Friedel (03/2013)

Assoziationen: Theater Freiburg

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Das Dach bürgerlicher Wohlanständigkeit. Es hat schon vor Beginn der Inszenierung die vier Insassen beerdigt: Emmi und Edgar, Helga und Hermann. Begraben unter roten, akkurat geschichteten Ziegeln. Ein beinahe retrospektiver Beginn? Wenn das Saallicht erlischt, wird dieser Dachstuhl hochgezogen. Die vier Bewohner wachsen mit, gehen in Position. Genau auf der scharfkantigen Schattenlinie des Daches richten sie sich auf zum stolzen Fundament, ordnen sich rechtwinklig an. Schreiten stumm die imaginäre Grenze von Drinnen und Draußen, Privatem und Beruflichem ab: ihre Spielfläche.

Johanna Wehners artifizieller Inszenierungsbeginn provoziert Gleichzeitigkeiten. Privater und beruflicher Diskurs überlagern sich, die Ehe wird von den Zwängen einer fordernden Arbeitswelt dominiert: „Die Firma regiert mir ins Bett“, beklagt sich Edgar, weil Partnerin Emmi ihre beruflichen Anstrengungen und Ambitionen vorschiebt, um abends nicht sexuell aktiv werden zu müssen.

Das Theater Freiburg, seit Jahren schon Spezialist für Kapitalismusrecherche, hat es bei Kroetz’ Vorlage leicht, da die Provokation des Textes gerade darin liegt, über die sprachliche Entgleisung im nur scheinbar privaten Gespräch arbeitsspezifische Deformationen offenzulegen. Was sich bei Kroetz allerdings wie ein vergeblicher Kampf patriarchalischer Machtbehauptung liest, ist in der Freiburger Inszenierung längst im selbstverständlichen Behaupten des Marktmechanismus jenseits aller Genderaspekte angekommen. Der Götze Kapital verlangt immer Recht: Sei es, dass er in verbal aggressiver Form auftritt – wie im sich verausgabenden Spiel André Benndorffs als Hermann gegenüber dem einmaligen Widerstand seiner Ehefrau Helga. Sei es über das Gewand maliziöser, distanzierender Mimik – wie im feinsinnigen Spiel Charlotte Müllers als Emmi, deren Arbeitsehrgeiz über jede noch so plumpe verbale Annäherung ihres Ehegatten Edgar erhaben zu sein scheint.

Kroetz’ anfängliche Asymmetrien in seinen Paarkonstellationen sind überdeutlich: Kinderlosigkeit auf der einen (Edgar und Emmi), Kinderfülle auf der anderen Seite (Helga und Hermann). Edgar als solider, zufriedener Arbeiter neben Hermann als gefährdetem, weil widerspenstigem Gewerkschaftler. Diese Antithesen bringen es fast zwangsläufig mit sich, dass die erwarteten Linien durchkreuzt werden: Während Hermann sich in der Umstrukturierung des Druckereibetriebs als konformer Modernisierer entpuppt, ist es Edgar, der seine Umschulung widerständig ablehnt und den Job kündigt, um sich selbst nicht zu verlieren. Und gerade eine dritte Schwangerschaft treibt Helga und Hermann in die Konfrontation.

Johanna Wehners kondensierende Regie und Viola Hasselbergs diskursive Dramaturgie schneiden auf überzeugende Weise schon früh in- und nebeneinander, was Kroetz zunächst gegeneinander gestaltet. Es gehört zur intellektuellen Stärke der Inszenierung – jenseits der anfangs behaupteten Gegensätze –, die Symmetrien in beiden Paarkonstellationen gnadenlos zu beleuchten: diejenige der Aggression, der Ich-Bezogenheit. Zwischenmenschliche Kälte stellt sich allein schon dadurch ein, dass der Faktor Arbeit primär gesetzt wird, dem sich Beziehungsansprüche selbstverständlich unterzuordnen haben. Das erfahren im Stück vornehmlich Edgar, nachdem er gekündigt hat, und Helga, wenn sie mit ihrem Selbsterfüllungswunsch des dritten Kindes untergeht.

Und gerade weil Wehner ihre Figuren gleichzeitig aus- und zueinander stellt, werden diese auf sich zurückgeworfen. Dadurch entsteht die Kraft des rückhaltlosen Schauspiels. In Freiburg entwickelt sich im Laufe des Abends ein grandioses Schauspielertheater. Wenn Mathias Lodd als Edgar sich im grauen Überpullover verknotet, sich im Versuch verhaspelt, auch ohne Arbeit notwendig zu sein, wenn er trotzig und vergeblich auf seiner bisherigen Arbeit beharrt und sich über diese energische Selbstaufrichtung hinaus wegrationalisiert. Wenn Iris Melamed als Helga von ihrem Mann Anerkennung herbeizuschreien versucht, weil sie das dritte Kind im Glauben abtrieb, das sei von Hermann so gewollt, dann zeigt sie auf bestürzend direkte Weise ihre verletzte, ausgeleerte Seele. Dann bricht die körperliche Wand, parallel zum Zerfall des Hauses. Nur Bruchstücke bleiben zurück, unbewohnbar. Ein großartiger, so kluger wie berührender Abend: Labor und Schauspiel, Dekonstruktion und Identifikation. //

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