Wie kommt der Mensch zur Sprache?
von Viola Schmidt
Erschienen in: Mit den Ohren sehen – Die Methode des gestischen Sprechens an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin (04/2019)
„Der Mensch ist nur Mensch durch Sprache; um aber Sprache zu erfinden, müsste er schon Mensch sein“, so Wilhelm von Humboldt in seiner ersten Rede vor der Berliner Akademie der Wissenschaften am 20. Juni 1820.124 Die Antwort auf die Frage, wie der Mensch zur Sprache kommt, gibt in gewisser Weise Auskunft darüber, wie die Menschheit zur Sprache kam. Für die Lernschritte, die den Spracherwerb des Kleinkindes kennzeichnen, brauchten unsere Vorfahren allerdings Hunderttausende von Jahren. Es gibt viele Theorien darüber, wann und wie sich die menschliche Sprachfähigkeit entwickelt haben könnte. Aufgrund der Fülle von Spekulationen verbannte die Société de Linguistique de Paris um die Wende zum 20. Jahrhundert jedwede Sprachentstehungstheorie aus ihren Statuten. Doch die Neugier der Wissenschaftler blieb ungebremst. In den 1950er Jahren vertrat der amerikanische Psychologe und Behaviorist Burrhus F. Skinner den Ansatz, der Spracherwerb beruhe lediglich auf Nachahmung bei entsprechend positiver Verstärkung. Sein Landsmann, der Linguist Noam Chomsky, polemisierte gegen den behavioristischen Ansatz Skinners. Chomsky betrachtete Sprache als ein zu komplexes Phänomen, als dass es von einem Kleinkind erlernt werden könnte. Sein nativistischer Ansatz ging davon aus, dass die Fähigkeit, aus der gehörten Sprache grammatikalische Regeln abzuleiten, angeboren ist, dass es eine Universalgrammatik gibt und dass der...