Für den Neuen Realismus oder Die Rückkehr der Seele
von Boris Groys
Erschienen in: Lob des Realismus – Die Debatte (09/2017)
Jüngst kann man ein wachsendes Interesse am Realismus beobachten, der lange Zeit geschichtlich passé zu sein schien. Doch der Begriff des Realismus ist nicht so klar, wie er scheint. Häufig versteht man darunter die Produktion mimetischer Bilder der „Realität“. Mit dieser Definition kann man natürlich einverstanden sein. Indes bleibt die Frage, wie wir der Realität zunächst begegnen. Wie entdecken wir die Realität, um uns in die Lage zu versetzen, uns ein Bild von ihr zu machen? Selbstverständlich meinen wir mit Realität alles, was sich unserem „natürlichen“, uninformierten und technologisch unbedarften Blick darbietet. Traditionelle Ikonen erscheinen uns unrealistisch, da sie die „andere“, nicht sichtbare Welt darstellen. Und all die Kunstwerke, die uns mit dem „wesentlichen Kern“ der Welt oder mit der „subjektiven Sicht“ eines einzelnen Künstlers konfrontieren, werden von uns nicht als realistisch anerkannt. Wir würden auch nicht von Realismus sprechen, wenn wir uns Bilder anschauen, die mithilfe eines Mikroskops oder Teleskops hergestellt wurden. Realismus wird häufig so definiert, dass man auf Anhieb sämtliche religiösen und philosophischen Sichtweisen und Spekulationen ebenso wie technologisch produzierte Bilder zurückweist und stattdessen die durchschnittliche, gewöhnliche, profane Ansicht der Welt reproduziert. Diese profane Vorstellung der Welt ist jedoch nicht besonders aufregend. Der Wunsch, ein solch profanes...