Eine andere Moderne II: Commedia dell’Arte
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Fast gleichzeitig mit dem, was zum hegemonialen regelgemäßen illusionistischen Theater werden sollte, war in Italien sein Gegenstück erschienen – die Commedia dell’Arte, die mit ihren verschiedenen Abarten und Varianten bis ins 18. Jahrhundert europäische Kunstlandschaften wesentlich prägte. Ihnen ging es nicht um die rationalistische Wahrscheinlichkeit der akribischen Nachahmung außertheatraler Vorgänge, sondern vor allem um das höchst kreative und genussreiche spielerische Machen theatraler Kunst-Realitäten.163 Es war ein Theater der gestisch-körperlich betonten Figurendarstellung, der Ausstellung musikalischer, tänzerischer und akrobatischer Leistungen, der „unregelmäßig“ sprunghaften Dramaturgien, einer überbordend witzig-ironischen, in der Tendenz gleichsam plebejisch schonungslos offenen Darlegung der Dinge mit oftmaligen Publikumsadressen und direkten Anspielungen auf Zuschauergruppen.164 Als dem Pariser Jahrmarktstheater 1711 für einige Jahre das szenisch-dialogische Spielen und dann auch das Singen, die Monopole des Théâtre Français als Sprechtheater und der Pariser Oper (Gesang), verboten wurden,165 übernahm das Publikum den Vortrag seiner auf Leinwände geschriebenen Couplets. 1718 hieß es in einem Polizeibericht über Alain René Lesages ARLEQUIN ORPHÉE LE CADET, das als „Stück für die Leinwände“ geschrieben war: „Der erste Akt wird sowohl durch die Schauspieler als auch durch die Zuschauer gespielt, und zwar über die Schriftrollen, die von oben herabgelassen wurden und auf denen die...