Theater der Zeit

2. Zweierlei Repräsentationskritik

von Wolfgang Engler

Erschienen in: Authentizität! – Von Exzentrikern, Dealern und Spielverderbern (03/2017)

Was sich auf verschiedenen sozialen Feldern beobachten lässt, ist ein Prozess der Entdifferenzierung. Einen Soziologen wie Niklas Luhmann hätte diese Entwicklung bestürzt. Seine Theorie der Moderne geht von eigenständigen Sinnzusammenhängen aus: Wirtschaft, Recht, Politik, Moral, Kunst, Liebe folgen spezifischen Operationsweisen, die bestimmte Ereignisse ermöglichen, andere ausschließen. Diese funktionale Differenzierung markiert einen evolutionären Fortschritt, insofern sie den Eigensinn von Handlungen und Erlebnissen forciert, ohne dass diese auf einen gemeinsamen Nenner bezogen werden können. Funktional differenzierte Gesellschaften sind per se keine Konsensgesellschaften. Sie leben vom Streit der Praxisformen und Diskurse. Sobald ein Diskurs die Oberhoheit beansprucht oder die Urteilskriterien miteinander vermengt werden, tritt an die Stelle des Streits entweder falsches Einverständnis oder Konfusion. Was die Autonomie künstlerischer Sinnproduktion anbetrifft, so ist sie derzeit von mehreren Seiten bedroht: von der Ökonomisierung, der Verrechtlichung und zunehmend auch von der Moralisierung. All diese heteronomen Bestrebungen sind auf dem Vormarsch und unterhöhlen das Projekt der Moderne auf diesem gesellschaftlichen Teilfeld.

Der jüngst auch hierzulande heftig aufgeflammte Streit um die legitime Darstellung einer Rolle gewährt näheren Einblick in die Logik der Entdifferenzierung. Wer betritt mit welchem Recht die Bühne, ist tatsächlich berufen, dort zu stehen, zu handeln, zu sprechen? Die spontane Antwort: jeder, der die Fähigkeiten, das...

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