Theater der Zeit

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Hans Otto Theater Potsdam: Nach der Asche

„Das Fest“ von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov – Regie Bettina Jahnke, Bühne und Kostüme Dorit Lievenbrück, Musik Martin Klingeberg

von Thomas Irmer

Erschienen in: Theater der Zeit: Theatermusik – Welttheater – Haus der Kulturen der Welt Berlin (06/2023)

Assoziationen: Theaterkritiken Brandenburg Mogens Rukov Thomas Vinterberg Bettina Jahnke Hans Otto Theater

„Das Fest“ nach dem Originaldrehbuch „Festen" von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov unter der Regie von Bettina Jahnke am Hans Otto Theater in Potsdam.
„Das Fest“ nach dem Originaldrehbuch „Festen" von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov unter der Regie von Bettina Jahnke am Hans Otto Theater in Potsdam.Foto: Thomas M. Jauk

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Das Drehbuch für den dänischen Film von 1998 hat inzwischen eine beachtliche Geschichte auf deutschen Bühnen. Das Fest zum 60. Geburtstag des Vaters Helge führt die Familie Klingenfeldt-Hansen mit den erwachsenen Kindern und Enkeln bzw. Urenkeln in ihrem Hotel zusammen. Der älteste Sohn Christian enthüllt bei den Gratulationsreden den jahrelangen Missbrauch durch den Vater, seine Zwillingsschwester Linda hat sich deshalb vor kurzem das Leben genommen. Der Film – gedreht nach den puristischen Regeln des damals vieldiskutierten DOGMA-Manifests – wirkte als sozialpsychologischer Schock. Zumal aus einem Land, das seit Jahrzehnten zu den glücklichsten der Welt gerechnet wird, wovon nicht zuletzt bis heute die hohen Auflagen der Hygge-Lifestyle-Bücher zeugen. Wenn man so will: Ibsens Thema der Lebenslüge reloaded, als Bühnenstoff eine Erfolgsgeschichte. 

In Potsdam hat die regieführende Intendantin Bettina Jahnke gleich zu Beginn einen Akzent gesetzt, der das Stück nicht neu, aber doch ein wenig anders sehen und ablaufen lässt. Denn hier tritt Christian (Jan Hallmann) mit einer Urne in den Händen zunächst auf einem anderen „Fest“ auf, der Beisetzung seines Vaters. Voll Wut stiebt er die Asche in die Luft, die im fahlen Licht wie greller Nebel wirkt. Abschied als Retraumatisierung, um damit die eigentliche Fest-Handlung aus der Erinnerung in Gang zu setzen. Ein Häufchen Asche mitten auf der Bühne wird immer dabei sein. 

Vielleicht spielt sich ja nun alles in einer Art imaginären Nachwelt ab, in der die Erinnerung an den 60. Geburtstag des erfolgreichen Hoteliers mit seinem inzwischen ramponierten Lebenswerk zusammen fällt. An den Wänden schlagen Wasserflecken durch, und die klobigen 70er-Jahre-Sessel, mit denen Dorit Lievenbrück die weit nach hinten zu einer Festsaalbühne reichende Tiefe der Bühne bestückt, würde man garantiert in keinem Hygge-Buch finden, sondern eher im Sperrmüllhof. Insofern macht das Setting einen etwas rätselhaften Raum auf, der mit Christians Ascheregen fragt, was nach dem Fest und seinen Enthüllungen noch passiert sein könnte.  

Das Fest für Helge wird als eher konventionelles Familien- und Zuprosten-Theater gezeigt, in dem ab und zu mal eine gemeine Stichelei hervorblitzt, aber kein wirklich tiefgehendes Familienpanorama entsteht. Auf der Festsaalbühne gibt es eine richtige Kapelle mit vier Musikern, von denen der Trompeter Martin Klingeberg auch den im Drehbuch-Stück wichtigen Toastmaster Helmut gibt. Der Helge von Joachim Berger ist ein stramm wirkender Familienfestvorsteher, der selbst seinem Vater (gespielt vom Boulevard-Altmeister Achim Wolff) nicht den Vortritt überlassen will und seinen Kindern, der das falsche Fach studierenden Tochter Helene (Laura Maria Hänsel) und dem im Restaurantbetrieb erfolglosen Michael (Hannes Schumacher), ein bisschen Geld im Umschlag zusteckt. Das ist eigentlich nur Umrankung der Enthüllung, aber mehr eben auch nicht. Die Mutter Else (Janine Kreß), für die man sich als beschweigende und darin auch leidende Mittäterin interessieren müsste, bleibt erstaunlich schwach gezeichnet. Und wenn Philip Bender als Gbatokai, Helenes PoC-Freund auftaucht, eine der zentralen Szenen des Films und vieler Bühnenversionen, duckt sich die Inszenierung sogar mutig weg. Das heute als rassistisch ausgelegte Lied im Original, das alle singen, ist durch eine alberne Polonaise, der sich Gbatokai nur widerwillig anschließt, ersetzt. Schade, denn gerade solch kompromittierende Szenen der Helge-Party hätten das Zeug, sie auch in die unmittelbare Publikumsgegenwart zu holen. Als kontrovers eben. 

So bleibt der andere Einfall Jahnkes als Trumpf ihrer Retraumatisierungsidee: Die tote Schwester Linda (in einem aus Schottenstoffen verschnitten zusammengenähten Hosenkostüm ganz wunderbar: Nadine Nollau) ist in allen Szenen stumm präsent in dieser seltsam schrecklich netten Familienhölle des Missbrauchs.           

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