Text und Aufführung
von Rainer Simon
Erschienen in: Recherchen 101: Labor oder Fließband? – Produktionsbedingungen freier Musiktheaterprojekte an Opernhäusern (02/2013)
Die Bandbreite von Vorstellungen an traditionellen Opernhäusern ist groß. Sie reicht von Aufführungen, in denen versucht wird, die Bedeutungen eines Werktextes eindeutig – meist historisierend – zu bestimmen und dementsprechend auf der Bühne „eins zu eins“ zu realisieren, bis hin zu solchen, die pauschal mit dem Etikett „Regietheater in der Oper“ versehen und in denen die Texte (Libretto und Partitur) unter Bezugnahme auf unsere heutige Gegenwart radikal interpretiert werden.16 Obwohl sich die jeweiligen Protagonisten der einen oder anderen Seite jeweils mit unterschiedlichen Begründungen gegenseitig Treulosigkeit gegenüber den Werktexten attestieren,17 lassen sich beide Aufführungspraktiken insofern als dem Text gegenüber treu bezeichnen, als dass er das zentrale Fundament für die Produktion ihrer Aufführungen darstellt. Egal ob von Franco Zeffirelli oder von Peter Konwitschny inszeniert, eine Textausgabe der Aida bildet in beiden Fällen sowohl die musikalische als auch die szenische Grundlage, wird im einen Fall szenisch zwar radikal befragt,18 aber keineswegs in seiner Dramaturgie grundsätzlich verändert. So erzählt Konwitschny in Graz oder Leipzig zwar eine andere Version der Aida als Zeffirelli in Verona, aber aufgrund der Beibehaltung und der Treue gegenüber der textlichen Basis ähneln sich die beiden Inszenierungen hinsichtlich der Handlung, der Figuren und der Musik dennoch nach wie...