Vorwort
von Marianne Vejtisek, Johannes C. Hoflehner und Martina Vannayová
Erschienen in: Recherchen 40: Durchbrochene Linien – Zeitgenössisches Theater in der Slowakei (05/2007)
Die Theaterlandschaft der Slowakei ist ein noch relativ unerforschtes Gebiet auf der europäischen Landkarte. Wir legen mit diesem Band das erste Buch in deutscher Sprache vor, das sich vor allem mit den aktuellen Entwicklungen der Theaterszene dieses Landes beschäftigt. Allerdings muss man sich vor Augen halten, dass es vor 1830 kein eigenständiges professionelles Theater in slowakischer Sprache gegeben hat. Selbst diese kurze Schauspieltradition wurde immer wieder unterbrochen, worauf die Studien von Vladimir Stefko und von Sona Simkova hinweisen.
Nun wachsen die Städte Wien und Bratislava seit der Wende und besonders seit dem Beitritt der Slowakei zur Europäischen Union stärker zusammen, und die Slowakei nähert sich dem übrigen Westeuropa nachdrücklich an. Deutsche und österreichische, vereinzelt auch Schweizer Stücke werden in der Slowakei übersetzt, rezipiert und aufgeführt, umgekehrt läuft jedoch fast gar nichts. Wir, Marianne Vejtisek und Johannes C. Hoflehner, haben aber seit einigen Jahren von Schwechat aus einen neugierigen Blick auf das Theater der Nachbarstadt geworfen, liegt Bratislava doch nur eine kurze Autostunde von Wien entfernt. Und wir haben eine kleine, aber sehr vitale Theaterszene vorgefunden, in die viel junges Publikum strömt, und nicht nur das: Ein (für uns) besonderer Humor und häufige Thematisierung des Neoliberalismus, Markenfetischismus und Kapitalismus sind uns sofort aufgefallen. Die sprachliche Barriere bei einem Theaterbesuch in der Slowakei ist zwar tatsächlich eine, und wer (wie wir beide) versucht, Slowakisch zu lernen, kann ein Lied von dieser Schwierigkeit singen, aber es lassen sich manche Stücke mit ein wenig Vorwissen auch in der Beobachtung der äußerst lebendigen Interaktion von Bühne und Publikum begreifen und erleben.
Durch den Kontakt zum Theaterinstitut in Bratislava kam mit Martina Vannayova eine kompetente und durchaus kritische Partnerin in der Slowakei mit ins Team. Gemeinsam bringen wir nun diesen Band heraus. Er soll in erster Linie eine Einführung sein und einen Überblick darüber geben, was in den Jahren seit der Sanften Revolution auf dem Theater in der Slowakei geschehen ist. Wir stellen Bühnen, Autoren und Regisseure vor: Alles unter dem Aspekt, dass kein Vorwissen über die slowakische Theaterszene existiert. Den Schwerpunkt haben wir auf das Sprechtheater gelegt. Ein kurzer Artikel stellt die wichtigsten Tendenzen im Bereich Tanztheater vor, das sich in der Slowakei erst neu entwickelt hat. Kinder- und Jugendtheater sowie Ballett, Pantomime und Puppentheater, ausnahmslos nicht uninteressante und traditionsreiche Sparten, haben wir dagegen vollständig ausgeklammert - das hätte den Rahmen dieses Buches gesprengt. Darüber hinaus gibt es seit Jahrzehnten ein erstaunlich reges dramatisches Schaffen. Eine kleine repräsentative, wenngleich unvollständige Sammlung von Stückausschnitten soll einen ersten Blick darauf ermöglichen. Es liegt erst ganz wenig in deutscher Übersetzung vor und vielleicht gelingt es diesem Band, das Interesse für diese noch unentdeckte Theaterlandschaft zu wecken.
Das Theater Forum Schwechat, auf dessen Initiative diese erste deutschsprachige Auseinandersetzung mit der Slowakei zustande kam, ist das östlichste produzierende Theater Österreichs und versteht sich immer mehr auch als Brücke zu den slowakischen Kollegen und wird in den nächsten Jahren die Zusammenarbeit mit ihnen vertiefen. Die Partnerschaft mit dem Theaterinstitut in Bratislava hat sich dabei als sehr hilfreich und fruchtbar erwiesen.
Die Herausgeber danken allen Personen, die mitgeholfen haben, diese Publikation zu realisieren, besonders Romana Maliti vom Theaterinstitut Bratislava und allen voran unserer unermüdlichen, kritischen und konstruktiven Lektorin Anja Dürrschmidt, ohne die es dieses Buch in dieser Form nicht geben würde.
Johannes C. Hoflehner, Martina Vannayova, Marianne Vejtisek Bratislava, Schwechat, Wien Juli 2007