Etüdischer Umweg zu dichterischen Sätzen
von Horst Hawemann
Erschienen in: Recherchen 108: Horst Hawemann – Leben üben – Improvisationen und Notate (03/2014)
Angenommen, man hat vor, Texte zu gebrauchen, die vorhanden sind, möglicherweise auch literarische, keine beiläufigen Texte, sondern dichterische Sätze. Man lässt den Spieler diese Sätze einmal lesen. Beim Lesen selbst werden sich schon Bedenken einstellen: Das schaff ich nie, zu kompliziert, oder: Wie spricht denn der? Jetzt sagt man: Mach doch einen kleinen etüdischen Umweg. Erzähl mir den Text mit den Worten, an die du dich erinnerst. Die Lust besteht darin, zu entdecken, was von diesem Text beim ersten Mal meins geworden ist.
Man kann die Aufgabe wiederholen, in dem man sagt: Nenn mal die interessantesten Wörter aus diesem Text. Fleiß und Gedächtnisleistung sind unwichtig. Hier soll ein Vergnügen, eine Lust am Text erzeugt werden. Also: Was hast du dir gemerkt? Jetzt versuch das mal zusammenzusetzen. Es soll ein genussvolles Erinnern und nicht ein erzwungenes Erinnern sein. Erzwungenes Erinnern ist immer Mist! Jetzt werden zur Verblüffung des Darstellers und zum Erstaunen des Spielleiters Wörter erinnert werden, und man wird vielleicht staunen, welche Wörter das sind.
Und wenn dieser Prozess stattgefunden hat, dann sagt man: So, jetzt lies den Text doch noch mal. Jetzt trifft sich der vom Spieler erinnerte Text mit dem Autorentext, und es beginnt die Lust, die Wörter,...