Essay
Eros und Tod
Die Alienhaftigkeit des Zirkus
von Thomas Oberender
Erschienen in: Arbeitsbuch 2022: Circus in flux – Zeitgenössischer Zirkus (07/2022)
Seit vielen Jahren lausche ich der Stimme von Terence McKenna. Auf YouTube sind zahlreiche Aufzeichnungen seiner Vorträge über seine Erfahrungen mit halluzinogenen Drogen zu finden, mit wissenschaftlichen Querverbindungen zur Kulturgeschichte, Anthropologie und Kunst. Eine besondere Betrachtungsweise entwickelt in diesem Zusammenhang McKenna mit Blick auf den Zirkus. In seiner Lecture „The Secret That Can’t Be Told“ beschreibt er seine Erfahrungen mit DMT als Begegnung mit dem Archetyp des Zirkus. Die quirligen Wesen, denen er auf seinen Trips begegnet ist, erinnern ihn an verschiedenste Zirkusfiguren, ihre Verspieltheit, das Magische ihres Wirkens, ihre Andersweltlichkeit.
Zirkus ist für McKenna ein komplexes emotionales Gefüge. Es zieht Kinder magisch an und berührt Erwachsene zugleich auf kindliche Weise. Mich erinnert das an meine erste Begegnung mit einem Wanderzirkus: Auf einer großen Brache in der Nähe eines Freibads in Jena, abseits des Wohngebiets, hatte er sein Lager aufgeschlagen. Umgeben von Wiesen, einem Sportplatz und nahe der Saale standen hier plötzlich über Nacht altmodische Wohnwagen aus Holz, und daneben wurde ein großes Zelt aufgebaut. Als meine Eltern mich mit in eine Nachmittagsaufführung nahmen, betrat ich eine fremde Welt, in der zwischen den Wagen der Artisten in kleineren Zelten für ein kleines Extra-Geld exotische Tiere zu sehen waren. Es roch...