Theater der Zeit

Auftritt

Frankfurt/Main: Theologie des Diesseits

Schauspiel Frankfurt: „jedermann (stirbt)“ von Ferdinand Schmalz. Regie Jan Bosse, Bühne Stéphane Laimé, Kostüme Kathrin Plath

von Christoph Leibold

Erschienen in: Theater der Zeit: Russian Underdogs – Victoria Lomasko und Kirill Serebrennikov (03/2020)

Assoziationen: Schauspiel Frankfurt

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Mit dem Geld ist es wie mit Gott: Man muss daran glauben. Scheine zum Beispiel sind nur Papier. Allein unser Vertrauen in den aufgedruckten Wert verleiht ihnen Kaufkraft. Jedermann betet den Mammon also mit gutem Grund an. In der Bankenmetropole Frankfurt am Main ist er mit seinem Credo geldrichtig. Vor allem jener Jedermann, der in der Neufassung des Salzburger Festspielklassikers auftritt, die Ferdinand Schmalz geschaffen hat. Hier ist der reiche Jedermann ein Börsen­spekulant, der seine Rechnung allerdings ohne den Tod gemacht hat. Das menschliche Leben ist ja quasi ein Dasein auf Pump. Irgendwann fordert es der Tod wieder zurück. Ergo: „jedermann (stirbt)“.

Jedermanns Lustgarten ist bei Schmalz der Park um seine Villa, und zugleich Sinnbild für die Festung Europa, in der sich die sogenannte Erste gegen die Dritte Welt abschottet. Den Tod jedoch kann kein Sicherheitskonzept der Welt fernhalten. Wolfram Koch in der Titel­rolle sieht denn anfangs auch eher nach einem Fall für die Gruft als für die Gartenparty aus. In Unterhemd und -hose irrlichtert er über die Bühne wie ein verwirrter Alter durchs Altenheim. Diese Bühne (von Stéphane Laimé) umgrenzen meterhohe Gitterstäbe als Zaun, und die Gartenlandschaft in diesem (zwar nicht goldenen, aber immerhin versilberten) Käfig zählt zur Sorte jener modernistischen Stilverirrungen, die sich nur Leute mit viel Geld und wenig Geschmack leisten. Da kullern mit Wasser gefüllte blaue Ballonblasen durchs Anwesen und ragen weiße Sockel in die Höhe, die aussehen wie riesige Champignonköpfe. Koch zieht einen Pelzmantel über die Feinrippwäsche, schlüpft zwischendurch in eine Toga und markiert so den barocken König beziehungsweise dekadenten Römer. Vorerst scheint doch noch Leben in diesem Tod­geweihten. Aber ehe Stimmung aufkommen kann, die er penetrant singend herbeizu­grölen versucht, platzt der Tod herein. Mechthild Großmann mit Latexglatze gibt ihn mit ihrer grabestiefergelegten Brummbassstimme als lakonischen Partyschreck. Damit hebt sie sich wohltuend vom Rest des Ensembles ab, das sich vom artifiziellen Ambiente zu einem arg gekünstelten Auftreten verleiten hat lassen. Selbst das Spiel des eigentlich famosen Wolfram Koch ist nicht frei von Manierismen.

Als entscheidendes Manko dabei erweist sich, dass Jan Bosse und sein Ensemble kein Ohr für die Sprache von Ferdinand Schmalz ­haben. Der Grazer Dramatiker schreibt ein mundartlich geprägtes Idiom, das dem Süddeutschen abgelauscht ist und mit dem er die Dinge dialektal verdichtet auf den Punkt bringt. Kunstvoll könnte das klingen, bei Bosse aber sprechen alle meist nur gekünstelt.

Erst spät, als seine Inszenierung auf den eigentlichen Kern der „Jedermann“-Neudichtung von Ferdinand Schmalz zusteuert, setzt sich ein weniger gespreizter Ton durch. Da sitzt Kochs Jedermann in den Armen von Großmanns Tod vorne an der Rampe, während sie ihm die sehr diesseitige Theologie von Ferdinand Schmalz verkündet. Anders als bei Hugo von Hofmannsthal, wo die Anbetung des Götzen Geld ein Problem auf dem Weg ins Leben nach dem Tod ist, geht es in „jedermann (stirbt)“ um das Leben davor. „Das Leben schmeckt nach nichts ohne den Tod“, heißt es einmal im Stück. Und überhaupt ist es besser, den Tod als Normalzustand zu be­grei­fen. Wo doch der Mensch die meiste Zeit tot ist: vor der Geburt schon, und danach auch wieder. Vor diesem Hintergrund erscheint das Leben als glückliche Ausnahme. Eine Frohe Botschaft. Außer für alle Jedermänner (und -frauen), die am Ende des Lebens feststellen, dass sie es sich zwar etwas haben kosten lassen, es aber nie auskosteten. Weil sie vielleicht eine Karriere hatten. Aber kein Leben. //

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