Hamburg
Künstler und Kritik
Erschienen in: Theater der Zeit: Stoff, Inhalt, Form (08/1946)
Wir haben Schauspieler, aber keine Schauspielkunst.
Wenn es vor alters eine solche Kunst gegeben hat, so haben wir sie nicht mehr; sie ist verloren; sie muß ganz von neuem wieder erfunden werden. Allgemeines Geschwätze darüber hat man in verschiedenen Sprachen genug, aber spezielle, von jedermann erkannte, mit Deutlichkeit und Präzision abgefaßte Regeln, nach welchen der Tadel oder das Lob des Akteurs in einem besonderen Falle zu bestimmen sei, deren wüßte ich kaum zwei oder drei. Daher kommt es, daß alles Räsonnement über diese Materie immer so schwankend und vieldeutig scheinet, daß es eben kein Wunder ist, wenn der Schauspieler, der nichts als eine glückliche Routine hat, sich auf alle Weise dadurch beleidiget findet.
Gelobt wird er sich nie genug, getadelt aber allzeit viel zu viel glauben: ja öfters wird er gar nicht einmal wissen, ob man ihn tadeln oder loben wollen.
Überhaupt hat man die Anmerkung schon längst gemacht, daß die Empfindlichkeit der Künstler in Ansehung der Kritik in eben dem Verhältnisse steigt, in welchem die Gewißheit und Deutlichkeit und Menge der Grundsätze ihrer Künste abnimmt.
Die Galerie ist freilich ein großer Liebhaber des Lärmenden und Tobenden, und selten wird sie er-mangeln, eine gute Lunge mit laufen Händen zu erwidern....