»Das deutscheste von allen Wagner-Stücken« öffnet sich dem Fremden
Barrie Koskys Inszenierung von Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg
von Günther Heeg
Erschienen in: Recherchen 161: Fremde Leidenschaften Oper – Das Theater der Wiederholung I (12/2021)

28. August 2018. Im Richard-Wagner-Park vor dem Bayreuther Festspielhaus ist die Ausstellung Verstummte Stimmen. Die Bayreuther Festspiele und die ›Juden‹ 1876 bis 1945 zu sehen. Sie zeigt, dass die Diskriminierung jüdischer Künstler:innen nicht erst das Werk der Nationalsozialist:innen war, sondern bereits im 19. Jahrhundert mit Cosima Wagner begann. Im Festspielhaus wird an diesem Tag im zweiten Jahr die Inszenierung der Meistersinger von Barrie Kosky gegeben.2 Er ist der erste jüdische Regisseur, der dieses »deutscheste von allen Wagner-Stücken«3, so Kosky, in Bayreuth inszeniert. Die Inszenierung einer Oper, die zur Konstruktion und Affirmation dieses Deutschtums den Ausschluss des Fremden braucht, durch einen Regisseur, der noch im 20. Jahrhundert als Fremder verfolgt und vernichtet worden wäre, ist an sich bemerkenswert. Zum künstlerisch-politischen Ereignis wird sie durch die doppelte Historisierung, die Kosky vornimmt: die Historisierung der Oper und die Historisierung seiner selbst. Sie ermöglichen es, die Meistersinger einerseits vor Gericht zu stellen und sie andererseits aus dem Mausoleum deutschtümelnder Nationalkultur zu befreien und zu retten.
Der Ort, an dem die Oper vor Gericht steht, ist der Schwurgerichtssaal 600 in Nürnberg, der Ort, an dem die Nürnberger Prozesse gegen die nationalsozialistischen Kriegsverbrecher stattgefunden haben. Wenn sich die Wände dieses Saals am Ende...