Die 1960er und 1970er Jahre
Nuevo Teatro Popular: Enrique Buenaventura und Augusto Boal
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Anfang der 1960er Jahre begann man in Lateinamerika, mit teilweise anderen Zielen und spezifischen Praktiken in der Verarbeitung bisher dominanter westlicher Kunstmodelle, auf neuartige Weise das enorme Potenzial moderner theatraler Darstellungsweisen zu entfalten. In mehreren Ländern bildete sich nahezu gleichzeitig die Bewegung des Nuevo Teatro Popular heraus, getragen sowohl von professionellen Truppen als auch von nichtprofessionellen Gruppierungen, die mit Inszenierungen gleichsam instrumentell bestimmte soziokulturelle Ziele verfolgten und so wichtige Beispiele für kritisch politisches angewandtes Theater setzten.145 Das Verbindende war das gesellschaftspolitische Engagement, der Ansatz, gesellschaftliche Mechanismen, nicht zuletzt den Klassencharakter sozioökonomischer Verhältnisse zu sezieren und Theater fest in den Prozess sozialer Veränderungen einzubinden.146 Das Manifest der Föderation Unabhängiger Theater Uruguays umriss 1962 Leitlinien der ganzen Bewegung:
1. Unabhängigkeit von kommerzieller Kontrolle, von restriktivem Sich-Einlassen mit dem Staat […], von jeglicher Äußerung, die die Verbreitung von Kultur, die als ein Bestandteil individueller und kollektiver Befreiung verstanden wird, verhindert. 2. Kunst-Theater: Der Versuch, durch ständige Beziehungen mit dem Volk, kulturell, technisch und institutionell auf dem wirklichen Niveau der Entwicklung der Massen und ihrer historischen Funktion zu bleiben und den Standard anspruchsvoller Kunst zu erhalten […] 5. Demokratische Interne Organisation: Sie muss in ihrem institutionellen System liegen. Damit meinen...