Theater der Zeit

III. Stanislawski und die Folgen

Werkgeheimnisse der Schauspielkunst

Quelle 9

von Michael Tschechow

Erschienen in: Lektionen 3: Schauspielen Theorie (12/2010)

Assoziationen: Schauspiel

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1. Des Schauspielers Körper und Psyche

Körper und Seele des Menschen sind in ständiger Wechselwirkung und beeinflussen sich gegenseitig. Sowohl ein über- wie ein unterentwickelter Körper kann die geistige Regsamkeit beeinträchtigen, Gefühle abstumpfen oder den Willen schwächen. Selten besteht vollständiges Gleichgewicht.

Und doch ist gerade dieses Gleichgewicht für den Schauspieler besonders wichtig. Denn sein Körper dient ihm ja als Instrument, seine schöpferischen Ideen auszudrücken. Nicht nur leiht er der darzustellenden Rolle Stimme und Gebärde, sondern er muß zudem in seinem sicht- und hörbaren Spiel das Innenleben des Bühnen-Charakters durchschimmern lassen. Gleichgewicht und vollkommene Harmonie zwischen Körper und Seele sind die Grundlagen seines Schaffens.

[…]

Es besteht auch die Gefahr, daß der Schauspieler die notwendige Grenze zwischen Alltag und Theater verwischt. Er bringt das Leben, wie es ist, auf die Bühne, und wird somit zu einem photogetreuen Nachahmer. Er vergißt, daß seine eigentliche Aufgabe nicht in der bloßen Imitation, sondern in einer facettenreichen und tiefgründigen Interpretation liegt. Und dabei sollte ihn doch ein freudiger Instinkt drängen, seine ganz persönlichen Eindrücke zu vermitteln, Hintergründe aufzudecken und ihre nicht augenfällige Bedeutung klar werden zu lassen. Wie aber kann er das tun? Wie kann er der Aufgabe genügen? Kaltes, analytisches Denken hemmt schöpferische Tätigkeit. Der Schauspieler muß seinem Körper ideelle Impulse zuführen. Nur so kann er ihn verfeinern, biegsam und gehorsam machen. Nur so kann er ihn als empfindsames und ausdrucksfähiges Instrument für seinen inneren Reichtum einsetzen. Sein Körper muß, um den mannigfachen Aufgaben zu genügen, von innen heraus geformt und neu geschaffen werden. Für die Schulung des Schauspielers bedarf es also besonderer psycho-physischer Übungen. Durch andauernde Pflege dieser Übungen wirst du staunend erkennen, wie leicht und begierig der menschliche Körper seelische |135|Werte aufnehmen, verarbeiten und wiedergeben kann. Zur Vorbereitung für dieses besondere schauspielerische Training ein paar Ratschläge:

Lege Gewicht auf dein eigenes inneres Verhalten.

Erweitere den Kreis deiner Interessen. Beobachte deine Umwelt. Versetze dich in Menschen anderer Epochen. Bemühe dich, ohne Vorurteil ihre Lebensweise zu verstehen, studiere Geschichtsbücher, historische Novellen, Stücke.

Beschäftige dich mit den Interessen und kulturellen Bestrebungen fremder Nationen. Bleibe objektiv. Versuche andere zu verstehen, ohne daß du ihnen deine Lebenseinstellung, deine ethischen Gesichtspunkte, deine gesellschaftlichen Ansprüche oder sonst irgend eine persönliche Ansicht aufdrängst.

Gewöhne dich daran, alle überflüssige Kritik, sowohl im Leben als auch auf der Bühne, zu unterdrücken. Das ist von besonderer Wichtigkeit, für dich und die anderen.

Beschäftige dich auch mit dir unsympathischen Menschen. Vielleicht wirst du dabei ihre positiven Eigenschaften entdecken.

Vermeide, die praktischen Übungen mechanisch auszuführen. Vergiß nie den Endzweck. Körper und Seele müssen dem Schauspieler unbedingt gehorchen. Erst wenn du gelernt hast, den Ausdruck und das Innenleben zu beherrschen, gewinnst du das notwendige Selbstvertrauen für deine berufliche Tätigkeit. Erst wenn der Zufall ausgeschieden ist, erst dann verfügst du beim Spielen über Gleichgewicht und Freiheit.

[…]

3. Improvisation

Begnügt sich der Schauspieler damit, die vom Autor vorgeschriebenen Worte zu sprechen und die vom Regisseur vorgeschlagenen Handlungen auszuführen, macht er sich zum Sklaven fremder Schöpfungen. Wenn er die Gelegenheit zum eigenen Improvisieren nicht wahrnimmt, bleibt sein Beruf ausgeborgter Fremdbesitz. Es ist ein Irrtum zu glauben, Autor und Regisseur hätten seine Arbeit vorweggenommen und für den Ausdruck seiner eigenen Individualität sei kein Raum mehr übrig. Leider ist diese Ansicht unter Schauspielern heute weit verbreitet.

|136|Jede Rolle bietet dem Schauspieler im wahrsten Sinne des Wortes Gelegenheit, mit dem Autor und dem Regisseur zu wirken und zu schaffen. Dies besagt jedoch keineswegs, es seien Worte und Handlungen beizufügen. Im Gegenteil. Die gegebenen Worte und Handlungen bilden die feste Grundlage für die schauspielerische Improvisation. WIE der Schauspieler die Worte ausspricht, und WIE er die Handlung ausführt, das sind offene Tore zum weiten Feld der Improvisation. Das WIE ist des Schauspielers eigenes und freies Ausdrucksmittel.

Mehr noch, auch zwischen den Worten und den dazugehörenden Handlungen findet der Schauspieler ungezählte Möglichkeiten, seine künstlerischen Einfälle zu entfalten, das Spiel auszuschmücken und interessante psychologische Übergänge zu schaffen. Er muß sich bloß weigern, immer nur sich selbst zu spielen und ausgediente Clichés hervorzuholen. Keine Rolle ist „einfach gegeben“, jede bietet Gelegenheit zu persönlicher Interpretation. Wer nicht mit jeder Rolle die reine Freude des Sich-Verwandelns auf der Bühne erlebt, wird kaum ahnen, was wirklich schöpferische Improvisation bedeutet.

Der Schauspieler, der gelernt hat zu improvisieren, entdeckt in seinem Inneren einen unerschöpflichen Quell bisher unbekannter Gefühle von Freiheit und Reichtum.

 

Übung: Einzelimprovisation

Bestimme Anfang und Ende deiner Improvisation. Bestimme sie genau, z. B. am Anfang: Erhebe dich rasch und entschlossen von einem Stuhl und sage in festem Ton „Ja!“ Am Schluß: Lege dich hin, nimm ein Buch, öffne es und beginne ruhig zu lesen. Am Anfang: Ziehe rasch und fröhlich deinen Mantel an, Hut und Handschuhe, als wolltest du ausgehen. Am Ende: Setze dich deprimiert nieder, vielleicht sogar weinend. Am Anfang: Schau ängstlich und gespannt aus dem Fenster, indem du versuchst, dich hinter dem Vorhang zu verbergen. Mit dem Ausruf „Hier ist er wieder“ ziehe dich vom Fenster zurück. Am Ende: Spiele Klavier, wirklich oder nur angedeutet, in fröhlicher Stimmung.

Wähle aufs Geratewohl für Anfang und Ende die erstbesten dir einfallenden Situationen. Je kontrastreicher sie sind, desto besser. Überlege dir |137|nicht, was du tun wirst zwischen Anfang und Ende. Suche nicht nach einer logischen Motivierung oder Rechtfertigung des improvisierten Zwischenspiels. Du brauchst dafür weder Thema noch Plan aufzustellen. Wähle nur die Stimmung. Dann überlaß dich der momentanen Intuition. Wenn du z. B. anfänglich aufstehst und „ja“ sagst, dann wirst du frei und vertrauensvoll deinen Eingebungen folgend zu spielen beginnen.

Das Mittelstück, der Übergang vom Anfang zum Ende, wird deine Improvisation sein.

Jeder folgende Moment entwickle sich psychologisch, nicht logisch, aus dem vorhergehenden. Also wirst du, ohne dich thematisch vorzubereiten, fast wie von selbst anfangen zu improvisieren. Du wirst lernen, der ganzen Skala von Gefühlen und Gemütsbewegungen spontan zu folgen. Bald wirst du beleidigt sein, bald gedankenvoll, irritiert, heiter, gleichgültig; vielleicht schreibst du einen Brief in großer Erregung; vielleicht gehst du eilig ans Telephon.

Alle Möglichkeiten stehen dir offen, deiner jeweiligen Stimmung und deinen Einfällen entsprechend. Horche nur auf die „innere Stimme“. Sie sagt dir, was du zu tun hast. Dein Unbewußtes lenkt dich, wenn du ihm nachzugeben bereit bist. Und so lange dir das Wissen um den Endpunkt gegenwärtig bleibt, wirst du nicht herumtappen. Das Ziel wird dich wie ein Magnet anziehen.

Fahre mit diesen Übungen fort, bis du Zutrauen zu dir selbst hast und nicht mehr stecken bleibst, um zu überlegen, was du zwischen Anfang und Ende tun sollst.

Du magst dich wundern, warum Ausgangspunkt und Schluß festgelegt werden müssen, während die dazwischenliegende Improvisation spontan fließend sein soll. Laß dir sagen warum: Wahre schöpferische Freiheit ist eingebettet in feste Grenzen. Sonst entartet sie zu Willkür und Unklarheit. Sinnlos würdest du herumschweifen. Ohne Start und ohne Ziel, d. h. ohne festen Rahmen, bliebe dein Gefühl für freies Schaffen bedeutungslos.

Während du ein Stück probst, begegnest du vielen Gelegenheiten, dein Improvisationstalent zu zeigen. Handlung, Text, Tempo, Vorschläge des Autors und des Regisseurs, Reaktion auf das Spiel der Partner, dies alles soll dich lenken. Um dich auf solche Anregungen vorzubereiten, mußt du dir schon beim Üben ähnliche Begrenzungen und Gegebenheiten vorstellen.

|138|Wenn dir Anfang und Ende der Improvisation bekannt sind, bestimme ihre ungefähre Länge. Wenn du allein arbeitest, sind fünf Minuten mehr als genug.

Dann wähle eine „Gegebenheit“ als Stützpunkt in der Mitte der Improvisation. Nun gehe übenderweise von Anfang zur Mitte und von der Mitte zum Ende. Versuche dafür nicht mehr Zeit zu verwenden als zuvor. – Bestimme eine weitere „Gegebenheit“ und wiederhole die Improvisation mit den vier Stützpunkten, Anfang und Ende inbegriffen. – Fahre fort, weitere Stützpunkte einzufügen, alle aus deiner Phantasie.

Wenn du eine gewisse Sicherheit im Überbrücken aller Stützpunkte erreicht hast, variiere die Aufgabe weiter: wechsle das Tempo, schaffe eine bestimmte Atmosphäre, spiele mit formender, fließender, fliegender oder ausstrahlender Bewegung, verändere den Charakter der Gestalt. Dann stell dir vor, wie die Bühne aussieht und wo das Publikum sitzt. Entscheide, ob es eine Tragödie, ein Drama, eine Komödie oder Farce, ein in der Gegenwart spielendes oder ein historisches Stück sei. Erfinde im Geiste ein passendes Kostüm. Tue, als würdest du es tragen. Alles steigert dein Improvisationstalent.

Der Zweck dieser Übung besteht darin, dich mit dem Wesen der Improvisation vertraut zu machen. Auch wenn du die Aufgabe mit den Stützpunkten und notwendigen Handlungen erweiterst, sollst du das Gefühl des Improvisierens beibehalten. Wenn du dann später auf der Bühne eine Rolle darstellst, werden dir die zu sprechenden Worte, die auszuführenden Handlungen, die Forderungen von Autor und Regisseur, ja alle Einzelheiten des Stückes den Weg weisen, genau so wie es früher die Stützpunkte deiner eigenen Improvisation taten. Übung und Aufführung werden sich gleichen.

 

Du weißt nun, daß dramatische Kunst nichts anderes ist, als eine fortgesetzte Improvisation, und daß es für den Schauspieler auf der Bühne keinen Augenblick gibt, in dem er nicht improvisieren dürfte. Es ist ihm möglich, gleichzeitig den vorgeschriebenen Gegebenheiten getreu nachzukommen und dennoch den Geist des Improvisierens zu betätigen. Ein beglückendes Gefühl von Zutrauen zu dir selbst, von Freiheit und Reichtum wird deine Bemühungen belohnen. […]

|139|4. Atmosphäre und individuelle Gefühle

[…] Die individuellen Gefühle eines Schauspielers sind zeitweise recht quecksilbrig und unberechenbar. Er ist bei weitem nicht immer imstande, sich zu zwingen, traurig oder böse zu sein, zu lieben oder zu hassen, je nachdem die Rolle es verlangt. Allzu oft müssen Schauspieler auf der Bühne tun, als hätten sie Gefühle, allzu oft bleiben ihre Versuche, solche aus sich heraus zu pressen, unbefriedigend. Ist es nicht meistens nur ein glücklicher Zufall und nicht der Erfolg künstlerischen Könnens, wenn die notwendigen Gefühle im richtigen Augenblick sich einstellen? Doch Zufall genügt nicht. Sollte künstlerisch wahres Gefühl ausbleiben, muß es durch irgend welche technischen Mittel geweckt werden. Nur so gelangt der Schauspieler zur Meisterschaft.1

Schöpferische Gefühle und Impulse können auf verschiedene Weisen erzeugt werden. Imagination und Macht der Atmosphäre wurden bereits genannt. Ein weiteres Hilfsmittel sei im Folgenden skizziert:

Hebe einen Arm. Senke ihn. Was hast du getan? Du hast eine Gebärde gemacht, und zwar ohne Schwierigkeit. Warum? Weil diese Gebärde vollkommen deinem Willen unterstellt ist. Nun wiederhole die Gebärde, indem du ihr eine besondere Eigenschaft erteilst. Laß es z. B. Vorsicht sein. Mache dieselbe Gebärde vorsichtig. Hast du sie mit gleicher Leichtigkeit ausgeführt? Wiederhole sie mehrmals und sieh zu, was geschieht. Die vorsichtig ausgeführte Bewegung ist nicht bloß eine physische Handlung. Jetzt hat sie einen seelischen Inhalt. Was bedeutet das?

Eine Empfindung von Vorsicht durchdringt nun deinen Arm. Die Bewegung hat psychophysischen Charakter bekommen. Gleicherweise wird dein ganzer Körper, wenn du ihn mit der Vorstellung von Vorsicht bewegst, mit derselben psychophysischen Empfindung durchdrungen und erfüllt.

Die Sinnesempfindungen sind also das Gefäß, in das die wahren künstlerischen Gefühle einströmen. Wie ein Magnet ziehen sie alle Gefühle und |140|Gemütsbewegungen an, die der vom Schauspieler für die Rollengestaltung gewählten Eigenschaften entsprechen.

Nun frage dich, ob du deine Gefühle gezwungen hast. Gabst du dir den Befehl, Vorsicht zu fühlen? Nein. Du hast nur deine Gebärde mit einer gewissen Eigenschaft ausgeführt. Durch diese Eigenschaft erzeugtest du die Empfindung von Vorsicht, und durch diese Empfindung erwachten deine Gefühle wie von selbst. Der Weg führt also von der mit einer Eigenschaft gefärbten Gebärde über die Empfindung zum Gefühl. Wenn du dieselbe Bewegung mit mehreren gleichgerichteten Eigenschaften wiederholst, stärkt sie die von dir erstrebten Gefühle.

Auf diese Weise kommst du in den Besitz des einfachsten technischen Mittels, deine Gefühle zu lenken, sollten sie sich widerspenstig und kapriziös erweisen und deine Arbeit sabotieren.

Wenn du gelernt hast, die gewählte Eigenschaft in eine Sinnesempfindung umzuwandeln, wirst du merken, daß diese Fähigkeit dir mehr dient, als du je ahnen konntest. Die Eigenschaft der Vorsicht, mit der du deine Bewegung ausführst, kann in dir beispielsweise nicht nur das Gefühl von Vorsicht, sondern auch noch eine ganze Skala verwandter Gefühle hervorrufen, je nach den Erfordernissen des Stückes. Du wirst vielleicht gleichzeitig irritiert oder aufmerksam, als ob du Gefahr wittertest, liebevoll und zärtlich, als behütetest du ein Kind, kalt oder resigniert, als wolltest du dich zurückziehen, erstaunt und verwundert, als fragtest du dich, warum muß ich vorsichtig sein? Alle diese Gefühls-Nuancen, wie verschieden sie auch sein mögen, sind verbunden mit der Empfindung von Vorsicht.

Es findet also eine Art Kreislauf statt. Zuerst wirkt der Befehl: Hebe einen Arm! Die Bewegung wird vom bloßen Willen ausgelöst. Dann färbst du sie mit einer Eigenschaft. Diese nun mit einem Inhalt bereicherte Bewegung erzeugt eine entsprechende Sinnesempfindung, die ihrerseits die gewünschten Gefühle hervorbringt. In ihrem Besitze wirst du schöpferisch.2

Doch nun wirst du fragen, wie läßt sich diese Methode verwirklichen, wenn mein Körper in Ruhestellung ist?

|141|Der Körper kann immer mit Sinnesempfindungen erfüllt werden, ob er ruhe oder sich bewege. Sage nur zu dir selbst: „Ich werde aufstehen, mich setzen, niederlegen mit dieser oder jener Empfindung in meinem Körper“. Als Antwort darauf wird dein Inneres von einem Kaleidoskop von Gefühlen durchströmt.

Wenn du beim Proben einer Szene in Zweifel gerätst, welche Eigenschaft du wählen solltest, zögere nicht, zwei oder drei gleichzeitig miteinander oder nacheinander auszuprobieren. Nehmen wir an, du wählst die Eigenschaft der Schwere und zugleich der Verzweiflung, der Besorgtheit oder des Ärgers. Wie viele Eigenschaften du auch kombinieren magst, sie werden für dich zu einer einzigen Sinnesempfindung verschmelzen wie Töne zu einem Akkord.

Sobald deine Empfindungen und deine Gefühle geweckt worden sind, reißen sie dich mit sich fort und geben deinem Spiel wahre Inspiration.

 

Übung: Individuelle Gefühle

Mach eine einfache Bewegung. Nimm einen Gegenstand vom Tisch, öffne oder schließe eine Türe, setze dich, stehe auf. Tue dies mehrmals. Dann erfülle deine Bewegung mit Eigenschaften: Ruhe, Sicherheit, Erregung, Sorge, Schüchternheit, Zärtlichkeit. Tue dasselbe mit formenden, fließenden, fliegenden, ausstrahlenden Bewegungen. Dann staccato, legato, dann mit Leichtigkeit, mit Formgefühl. – Wiederhole diese Gebärden, bis die gewählte Empfindung deinen Körper erfüllt und die entsprechenden Gefühle weckt. Forciere die Gefühle nicht. Durch die vorgeschlagene Technik werden sie sich wie von selbst einstellen. Versuche nie das Resultat zu beschleunigen.

 

Michael Tschechow: Werkgeheimnisse der Schauspielkunst, Werner Classen Verlag, Zürich und Stuttgart 1979, S. 17 – 19, S. 41 – 44, S. 55 – 58

 

Michael Tschechow (1891 – 1955), russisch-amerikanischer Schauspieler, Regisseur und Autor. Das Grundkonzept von Tschechows „Theater der Zukunft“ fußt auf den Lehren der Anthroposophie. Anders als sein Lehrer Stanislawski war er überzeugt, dass die Inspirationsquelle des Schauspielers in der bewussten Ausschöpfung seines imaginativen Potenzials beziehungsweise der Abfrage seines Unterbewusstseins liegt.

1

In diesem Zusammenhang sei auf einen fundamentalen Unterschied zwischen Berufsschauspieler und dem aus Liebhaberei nur dann und wann auftretenden Laienspieler aufmerksam gemacht. Begeisterung und spontane Hingabe an die Rolle entfachen im Laien unter kundiger Führung oft wie von selbst die verlangten Gefühle. Auch dem Berufsschauspieler würden diese Gefühle unter Umständen zur Verfügung stehen. Doch bei ihm genügen sie nicht, weil sie nicht zuverlässig sind. Um kein Versagen zu riskieren, muß der Schauspieler die für sein Schaffen notwendigen Gefühle erwecken und meistern können. Er bedarf also einer Technik, die seine Kunst über jeden Zufall erhebt. (Anm. d. Übers.)

2

Eine Geschichte aus dem frühen Mittelalter beleuchtet diesen Vorgang. Sie berichtet von einem Mönch, der nicht mehr beten konnte. Bekümmert ging er zum Abt und klagte ihm sein Leid. Der Abt sagte: „Beruhige dich, mein Sohn, nimm die Haltung eines Betenden an, verharre in diese Haltung und du wirst wieder beten können.“ Und so geschah es. (Anm. d. Übers.)

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