Denken wir in anderen Sprachen anders?
von Viola Schmidt
Erschienen in: Mit den Ohren sehen – Die Methode des gestischen Sprechens an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin (04/2019)
Die Frage, ob Menschen in einer anderen Sprache anders denken, beschäftigt nach wie vor die Wissenschaft. Die Idee vom sprachlichen Determinismus, wonach die Sprache, in der wir sprechen, unsere Art zu denken formt, begegnet uns in der Sapir-Whorf-Hypothese, benannt nach den Linguisten Edward Sapir und Benjamin Lee Whorf. Anders als in Pinkers konzeptueller Semantik, in der das Denken die Sprache beeinflusst, ist es für Whorf die Sprache, die das Denken bestimmt. Lera Boroditsky, Kognitionspsychologin an der Stanford University, beschreibt kognitive Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Sprache. Die Sprachen der Welt ermöglichen, so Boroditsky, eine differenzierte Wahrnehmung von Farben und räumlichen Relationen. Die Thaayorre, ein Aborigine-Volk aus dem Norden Australiens, kennen keine Bezeichnung für rechts, links, vorn und hinten. Sie orientieren sich auch kleinräumig an den Himmelsrichtungen, als verfügten sie über einen integrierten Kompass. Untersuchungen zur Wahrnehmung von Zeitabläufen ließen eine Beziehung zur Schreibrichtung erkennen. Schreiben wir horizontal von links nach rechts, nehmen wir die Vergangenheit links von der Zukunft an. Im arabischen und hebräischen Sprachraum ist das umgekehrt. Eine Werbekampagne für ein bekanntes Waschmittel, die links einen Haufen Schmutzwäsche, in der Mitte eine Waschmaschine mit dem zu bewerbenden Produkt und rechts einen Stapel frisch gewaschene Wäsche abbildet, führt im arabischen Sprachraum...