Magazin
Ein rares Wunder des Kalten Krieges
Zum Tod des Kulturwissenschaftlers Jost Hermand
von Sabine Kebir
Erschienen in: Theater der Zeit: Kleiner Mann, was nun? – Geschlechterbilder im Theater – Ein Jahresrückblick (12/2021)
Mit dem am 11. April 1930 in Kassel geborenen Jost Hermand ist nun wohl der letzte Germanist von uns gegangen, der im tiefsten Sinne Kulturwissenschaftler war, denn er überschritt die Grenzen des Fachs und stellte – als wäre es das Selbstverständlichste der Welt – auch ständig Verbindungen zwischen den verschiedenen Künsten her. Das flexible Talent war Hermand eingeboren. Eigentlich wollte er Romanschriftsteller werden, nahm aber das Angebot des zwischen Ost- und Westdeutschland pendelnden renommierten Kunsthistorikers Richard Hamann an, dessen aus Altersgründen nicht mehr durchführbares Mammutprojekt einer fünfbändigen Kulturgeschichte zu verschriftlichen: „Gründerzeit, Naturalismus, Impressionismus, Stilkunst um 1900“ und „Expressionismus“. Da das alle Kunstsparten in Beziehung setzende Werk im Akademie Verlag der DDR erscheinen sollte, wechselte der junge promovierte Hermand 1955 von Marburg nach Ost-Berlin. Die ersten beiden, vom intellektuellen Publikum der DDR begierig aufgenommenen Bände entsprachen nicht den Vorstellungen der Kulturbürokratie, weshalb Hermand 1958 barsch aus dem Arbeiter- und Bauernstaat ausgewiesen wurde. Doch die Tatsache, einige Jahre in der DDR gearbeitet zu haben, reichte, um Hermand die universitäre Karriere in der Bundesrepublik zu verwehren. Er fand den Ausweg in die USA. Dass der Akademie Verlag es ihm ermöglichte, dort die weiteren Bände fertigzustellen, und dass er sie zwischen 1959 und 1975...