Rezension
Die Steine bröckeln
Ein Gesprächsband über den historischen Kontext des Theaters von Theodoros Terzopoulos
von Lara Wenzel
Erschienen in: Theater der Zeit: Geste des Kollektiven – Sandra Hüller und Tom Schneider (06/2025)
Assoziationen: Buchrezensionen Theodoros Terzopoulos

Theodoros Terzopoulos ist der Meinung: „Die Kunst beginnt dort, wo die Autobiografie endet.“ In seinem Lebenswerk erweckte der griechische Theaterregisseur die antiken Tragödien wieder zum Leben, reiste mit seiner gefeierten Inszenierung der „Bakchen“ um die Welt (wie gerade mit seiner „Orestie“ aus dem vergangenen Jahr) und entwickelte eine Theatermethode, die sich aus Ritual und Körperlichkeit speist. Mit seiner experimentellen und politischen Art, Theater zu machen, schuf er Inszenierungen, die mit unzähligen Menschen räsonierten. Im Dialog mit der Historikerin Sabine Fuchs offenbart sich, wie seine Biografie, vor allem die Zeit nach dem griechischen Bürgerkrieg, in seinen Arbeiten dennoch zur Sprache kam. Dieses unaufgearbeitete Trauma, „das immer existierte und nie aufgehört hat zu bluten“, bestimmt noch heute die griechische Gesellschaft. Der Gesprächsband „Ich bin kein Opfer des Bürgerkriegs“ kreist um diese Erfahrung, ordnet sie historisch in einem Aufsatz von Sabine Fuchs ein und bringt sie in Verbindung mit den Arbeiten des Regisseurs.
Ein Traumbild steht für Terzopoulos am Anfang seiner Auseinandersetzung mit dem Trauma: In seinem Heimatdorf läuft er als Kind durch eine Senke an der Straße entlang. Er weint und sucht seinen Vater. Diese Erinnerungsfetzen kamen ihm irreal vor, bis ihm seine Mutter half zu verstehen: An diesem Tag hatten Gendarmen seinen Vater abgeführt, um ihn zu foltern. Man warf ihm vor, Waffen zu verstecken. Verborgen im Straßengraben folgte Terzopoulos den Männern, die ihn abführten. Seine Familie gehörte zu den Verlierer:innen des Bürgerkriegs, weil sie links waren. Bereits während des Zweiten Weltkriegs entstanden Auseinandersetzungen zwischen kommunistischen und monarchistischen Widerstandsgruppen, erklärt Fuchs in ihrem begleitenden Aufsatz. Nach dem Sieg über die Deutschen schlugen die Alliierten Griechenland der westlichen Einflusssphäre zu, was die schwelenden Konflikte endgültig zum Ausbruch brachte.
Die kommunistische Nationale Befreiungsfront (EAM) und ihr militanter Arm, die griechische Volksbefreiungsarmee (ELAS), genossen breite Unterstützung in der Bevölkerung und kontrollierten weite Teile Nordgriechenlands, aber die Dominanz der Kommunisten war nicht im Interesse der westlichen Mächte. Bereits 1944 eskalierte der Konflikt im Kampf um Athen, wo britische Truppen die EDES, eine kleinere nicht-kommunistische Gruppe, unterstützten und sie dazu drängten, eine promonarchistische Position einzunehmen. Diese Staatsform stellte das von den Briten favorisierte System für Griechenland dar, obwohl es kaum Rückhalt in der Gesellschaft hatte. Bis 1949 hielten die Kämpfe zwischen kommunistischen und konservativen Truppen an. Letztere erhielten nach der Truman-Doktrin 1947 Unterstützung von den USA und setzten sich so endgültig durch.
In den Jahren danach brach die Periode an, die Terzopoulos und viele andere Menschen in Griechenland „Petrina Chronia“, versteinerte Zeit, nennen. Auf Morde, sexuelle Gewalttaten und Folterungen folgte keine Aufarbeitung. Im Schweigen blieben die Gräben bestehen: „Alles in unserer Kultur ist darauf ausgerichtet, zu vergessen, und nicht darauf, uns zu erinnern [...] aber wie es schon bei Hanns Eisler heißt, ‚Vorwärts, und nicht vergessen‘“, erinnert er sich. Diese Erfahrung begleitete den 1945 geborenen Regisseur bei seinen Lehrjahren am Berliner Ensemble, wo er sich intensiv mit Brecht und Heiner Müller auseinandersetzte. Über die Begegnung mit Müller und die geteilte Faszination für Gespenster und Untote, die als Agenten der Trauer seine Inszenierungen heimsuchten, reflektiert Terzopoulos im bei Theater der Zeit erschienen Bericht „Im Labyrinth“. In seinen Tragödieninszenierungen findet sich das verdrängte Trauma in antiken Motiven, den Übertritt in den Hades und seiner politischen Ästhetik. Terzopoulos stellt sich mit seiner Schauspielmethode, die er in seinem Buch „Die Rückkehr des Dionysos“ ausführt, gegen die Einfühlung und Psychologisierung im Theater. Symbol, Mythos und Ritual durchdringen sein Werk und schaffen so eine Theaterpraxis gegen nationalistische oder populistische Vereinnahmung. Dass die Wurzeln dieser politischen Ästhetik bis in die versteinerte Zeit reichen, legt der Gesprächsband offen und hilft, das einflussreiche Werk dieses „Utopisten der Linken“ in seinem historischen Kontext zu verstehen.
Sabine Fuchs, Theodoros Terzopoulos
Ich bin kein Opfer des Bürgerkriegs
Mandelbaum Verlag, Wien 2025, 240 S., € 24 (Hier bestellen)