Eine andere Moderne II: Commedia dell’Arte
Das Théâtre de la Foire: Pariser Jahrmarktstheater
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts entwickelte sich auf den Pariser Jahrmärken, die im Sommer (Saint-Laurent) und im Winter (Saint-Germain) abgehalten wurden, aus Seiltänzer- und Akrobatentruppen eine spezifische Variante der Commedia-Form, die Masken und Spielweisen des 1697 aus Paris hinausgeworfenen Théâtre Italien fortsetzte. Auf den außerordentlich reich ausgestatteten und von allen Bevölkerungsschichten besuchten Märkten war Theater eine Komponente eines breit gefächerten Angebots von Unterhaltung und Bedienung sinnlich-materieller und ästhetisch-geistiger Bedürfnisse.195 1716 berichtete ein Ausländer über den Jahrmarkt zu Saint-Germain: „Auf diesem Markt fehlt nichts, um das Vergnügen zu genießen, das man sich wünscht. Angenehme Schauspiele, gute Wirtshäuser, exzellente Liköre, reiche Ausstattung und schöne Frauen – all das zieht hier eine große Menge Leute der unterschiedlichsten Schichten an.“196
Das Theater der Jahrmärkte, die von allen sozialen Schichten und Klassen, von Tagelöhnern bis zur Aristokratie eifrig besucht wurden, war eine Kunst, die in dem streng hierarchisierten feudalabsolutistischen Regime der ganzen Gesellschaft offen stand, ein kulturpolitisch höchst bedeutsames Moment im Kampf, Theateraufführungen gemäß den Bedürfnissen und der Zahlungsfähigkeit eines sozial breit gefächerten Publikums zu verkaufen, ein Kampf, der bis zur Revolution von 1789 geführt werden musste und dann 1791 durch das Gesetz über die Freiheit für alle, Theater zu unterhalten, seinen...