Die 1980er Jahre
Heiner Müller: No hope, no despair
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Wenn 1980 Zuschauer in der Aufführung von DER AUFTRAG, Heiner Müllers erster eigener Inszenierung in Zusammenarbeit mit Ginka Tscholakowa, etwas deutlich wahrnehmen konnten oder ausdrücklich wahrnehmen sollten, war es der ins Körperlich-Sinnliche übersetzte Stückuntertitel „Erinnerung an eine Revolution“.196 Man kam in einen relativ hellen Theaterraum, in dessen Hintergrund erhöht, voll sichtbar die Leichen des schwarzen Sklavenrevolutionärs Sasportas und des französischen Bauernrevolutionärs Galloudec in Särgen aufgestellt waren. Vor oder unten ihnen gab es gestaffelte Bänke für die Zuschauer, die sich mit dem Rücken zu ihnen oder unter sie setzen mussten. Die Leichen lagen ihnen während der ganzen Vorstellung buchstäblich im Nacken. Was das Publikum an Vorgängen wahrnahm, glich dem ungeordneten Abruf, dem akausalen Aufblitzen von Bruchstücken, die für mühselig-ungenaue Erinnerungsarbeit charakteristisch ist, hier für die Suche nach Ereignissen des Versuchs und des Scheiterns (des Verrats an?) einer radikalen sozialen Revolution. Dem Betrachter wurde das Befragen der Geschehnisse nach einer schlüssigen, eindeutigen Antwort erschwert, vielleicht bewusst verunklart, durch ein anscheinend unauflösliches Paradox: Im Mittelpunkt stand ein Schauspieler, Jürgen Holtz, der, kaum den Spielraum verlassend, Wahrnehmung auf sich konzentrierte, auf einen individuellen Körper. Zugleich vermittelte sich durch ihn das ganze disparate Material des Textes, die surreal verschobenen Zeiträume der...