Julia Reichert: Milo, Gratulation zur Premiere von „Die 120 Tage von Sodom“! Du giltst als Theaterregisseur, obwohl deine Inszenierungen auf vielen medialen Ebenen stattfinden, auch als Film oder in Form von umfangreichen Publikationen – und oft lösen sie große mediale Reaktionen aus. Wie kann man das theatral produktiv machen?
Milo Rau: Es gibt einen Unterschied zwischen thematischer Debatte und Skandaldebatte. Wenn man Themen wählt, die Skandalpotenzial haben, muss man die Debatte modellieren, damit sie einem nicht entgleitet – wie es etwa bei „Breiviks Erklärung“ passiert ist. Nach dem Rauswurf in Weimar war das Missverständnis nicht mehr aufzuklären, dass wir Breivik auf unreflektierte Weise ein Podium bieten würden etc. Meiner Erfahrung nach ist man hauptsächlich deeskalierend tätig. Andererseits: Bei Produktionen wie dem „Kongo Tribunal“ oder den „Moskauer Prozessen“ hat die mediale Resonanz eher eine aufklärerische Wirkung – und die ist intendiert.
Bei deinen aktuellen Produktionen sieht man live der Entstehung von Bildern zu, was gerade in Zeiten von Fake News die Frage nach Wahrheit oder Authentizität auch medial stellt.
Rau: Ja, das ist bei der „Trilogie der Repräsentation“ so, zu der neben den „120 Tagen von Sodom“ auch „Five Easy Pieces“ gehört, die dritte Produktion ist noch in Arbeit. Bei der...