Konstruktionen von Theaterarbeit in Ost und West
von Burghart Klaußner und Thomas Irmer
Erschienen in: backstage: KLAUSSNER (09/2019)
Ulrich Mühe fasste das Problem, das vor allem ein Wahrnehmungsproblem war, unter dem er litt, so zusammen: Der Ostschauspieler macht angeblich alles mit dem Kopf, der Westschauspieler alles aus dem Bauch und aus der eigenen Biografie heraus.
Das waren die Vorurteile. Ich hatte, als das so paraphrasiert das erste Mal so geäußert wurde, sehr stark das Gefühl, jetzt wird nach Konstruktionen gesucht, um sich abzugrenzen. Was sich natürlich dahinter verbirgt, ist die Vermutung, dass im Westen die Theaterfiguren auf ihre psychologische Genauigkeit abgeklopft wurden, die man naturgemäß durch die Anbindung an die eigene biografische Erfahrung besser untermauern und erfahren kann, und dass im Osten eben tendenziell die Botschaft, die an eine Figur angehängt werden kann, deutlicher aufgesucht wird als ihre psychologische Genauigkeit. Ich glaube, das spielte schon eine Rolle, dieser politische und ästhetische Gegensatz, der dann jedoch in diese Richtung vergröbert wurde: Die spielen nur aus dem Bauch und die spielen nur aus dem Kopf. Das ist natürlich plumper Unsinn. Es gab sowohl als auch. Auf beiden Seiten, ganz klar. Es gab im Westen keinen Auftrag. Es gab ihn natürlich unausgesprochen, das heißt, der Zeitgeist war der Auftrag. Und das ist schon ein Unterschied, Zeitgeist und Auftrag. Es ist nicht...