Theater der Zeit

Auftritt

Heilbronn: Die dunkle Seite des Propheten

Theater Heilbronn: „The Who and the What“ von Ayad Akhtar. Regie Kay Wuschek, Bühne Tom Musch, Kostüme Cornelia Krasske

von Elisabeth Maier

Erschienen in: Theater der Zeit: Publikumskrise (11/2022)

Assoziationen: Theaterkritiken Baden-Württemberg Theater Heilbronn

In dieser Familie knallt’s: Romy Klötzel, Sarah Finkel, Arlen Konietz, Stefan Eichberg in „The Who and the What“ von Ayad Akhtar in der Regie von Kay WuschekFoto: Jochen Klenk

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Die Glaubenssätze des Islam im 21. Jahrhundert neu denken? Auf diese verwegene Reise macht sich die junge Wissenschaftlerin Zarina. Die Harvard-Absolventin ist die Tochter eines pakistanischen Taxifahrers, der im Land der unbegrenzten Möglichkeiten mit seiner kulturellen Identität ringt. Seine beiden Töchter hat er streng muslimisch erzogen. Im liberalen US-amerikanischen Universitätssystem lernt Zarina, die Rolle des Propheten Mohammed zu hinterfragen. Mit Ayad Akhtars Stück „The Who and the What“ schafft Regisseur Kay Wuschek nur bedingt den Spagat zwischen einer locker gebauten Liebeskomödie und dem kritischen Blick auf muslimische Familienstrukturen.

Mit den wilden, comicbunten Videos von ­Ernest Thiesmeier wird schnell deutlich: In dieser Familie knallt’s. Der US-amerikanische Autor Akhtar ist als Sohn pakistanischer Einwanderer in Milwaukee geboren. Das Leben zwischen den Kulturen kennt der 51-Jährige also aus eigener Erfahrung. Er hat an der Brown University in Providence, Rhode Island, Theater studiert. Die westlich-islamische Identität betrachtet Akhtar, der mit bedeutenden Preisen wie dem Pulitzer-Theaterpreis und dem American Book Award ausgezeichnet wurde, kritisch, sensibel und mit viel Humor. Dass Theaterstücke trotz aller Inhaltsschwere auch komisch sein dürfen, zeigen amerikanische Dramatiker immer wieder in ihren well-made plays. Das perfekt gestrickte Drama Akhtars bringt Wuschek in Heilbronn solide auf die Bühne. Die ungewöhnliche Liebesgeschichte mit einer politischen Botschaft zu verknüpfen, gelingt ihm indes nicht.

Als strenger Vater, dem seine Töchter über alles gehen, hält Stefan Eichberg in der Rolle des Unternehmers Afzal die Fäden in der Hand. Übergriffig wie er ist, findet der alte Mann deshalb auch nichts daran, für seine Tochter auf der Datingplattform muslimlove.com einen passenden Ehemann mit dem richtigen religiösen Hintergrund zu suchen. Dass seine Wahl ausgerechnet auf den Konvertiten Eli fällt, in den sich Zarina tatsächlich verliebt, sorgt für Turbulenzen und komische Situationen. Tom Musch hat einen schlichten Bühnenraum aus Holz geschaffen, der die Spiel- und Lebensräume trennt. Wechselndes Licht spiegelt Stimmungen. Die Kostüme von Cornelia Krasske sind zeitlos schön. Sie zeigen die westliche Identität der Menschen, die sich im Kopf nur schwer von ihren alten pakistanischen Familienstrukturen und Rollenbildern lösen können.

Wuschek entfaltet die komischen Szenen in einer Inszenierung, der eine überzeugende Linie ebenso fehlt wie der Mut zum Kommentar. Der großartigen Schauspielerin Sarah Finkel bietet das jedoch den Freiraum, ihre Rolle zu entwickeln. In ihren Monologen bringt sie nicht nur die intellektuelle Tiefenschärfe von Akhtars Text klug auf den Punkt. Als ihr Vater ihr Romanmanuskript vernichten will, das den Propheten aus feministischer Sicht hinterfragt, geht sie ihren Weg unbeirrt weiter. Wenn die zerfledderten Seiten über die Bühne fliegen, berührt das zutiefst. Gibt es im 21. Jahrhundert Welten, in denen Meinungsfreiheit nichts mehr gilt? Akhbar muss da in der vermeintlich multikulturellen USGesellschaft nicht lange suchen.

Gemeinsam mit Arlen Konietz, der den Konvertiten spielt, entwirft die Wissenschaftlerin Zarina das Bild einer stillen, unspektakulären Liebe, die auf gegenseitige Unterstützung baut. Die Zerrissenheit des jungen Mannes, der als Imam eine Moschee leitet und eine Suppenküche betreibt, zeigt Konietz sachlich und doch sehr berührend. Dass seine Frau mit ihrem Roman über das menschliche Gesicht des Propheten Mohammed seine Karriere und die ihres Vaters zerstört, nimmt er sehr gelassen hin.

Dass sich Wuscheks Regieansatz zu sehr vom komischen Potenzial des Textes hinreißen lässt, rächt sich in der Geschichte der jüngeren Schwester Mahwish. Romy Klötzel zeigt sie als unkomplizierte junge Frau, die das Leben liebt. Dass sie von ihrer Jugendliebe jahrelang missbraucht und zum Analsex gezwungen wurde, damit sie als Jungfrau in die Ehe geht, kommt da nur am Rande zum Tragen. Nur kurz darf die Schauspielerin, die wunderbar feinfühlig spricht, ihren Schmerz zeigen. Mit den menschenverachtenden Strukturen, die in manchen Familien noch immer vorherrschen, geht Wuschek nicht hart genug ins Gericht. Da steckt viel mehr Reibung im Text. //

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