Theater der Zeit

Globalisierung

Warum der Tanz immer politischer wird? Weil er als Botschafter einer antifundamentalistischen Kultur dient.

von Johannes Odenthal

Erschienen in: Recherchen 27: Tanz Körper Politik – Texte zur zeitgenössischen Tanzgeschichte (10/2012)

Kaum ein Szenario im 20. Jahrhundert hat den Begriff der Kultur so politisiert wie Samuel P. Huntingtons KAMPF DER KULTUREN (CLASH OF CIVILIZATIONS, New York 1996). Seine Hauptthese: Nach dem Zusammenbruch einer ideologisch geprägten Weltordnung des kalten Krieges zwischen West und Ost werden neue Grenzen und Konfliktlinien gezogen. Die Kernstaaten der verschiedenen Kulturräume treten an die Stelle der Supermächte: die islamisch-arabische Welt, der indische Subkontinent, China und der westliche Kulturkreis mit Nordamerika und Westeuropa. Huntingtons Szenario, in dem jeweilige kulturelle Identitäten – ethnische, nationale, religiöse – über politische Bündnisse entscheiden, will nahe legen, dass Kultur die zentrale Kategorie für die Entwicklung internationaler Beziehungen ist, dass Kulturen die politischen Lager definieren. Eine dieser Konfliktlinien zieht sich zwischen der westlichen und der islamischen Welt und bestätigt das Szenario des Zusammenpralls religiös und gesellschaftlich unterschiedlicher Kulturkreise. Huntington fordert deshalb, kulturelle Identitäten mit ihren Werten zu stärken und damit politische Positionen zu klären. Konkret bedeutet das einen neuen Konservatismus, der seine Schatten auch auf Deutschland wirft, Stichwort Leitkultur.

Die große Schwachstelle und die Gefahr von Huntingtons Modell liegt in der Vereinfachung von kulturellen Prozessen. Denn in Wahrheit verlieren die Konzepte von Nationalstaat, von religiösen Weltentwürfen und ethnisch geprägten Kulturidentitäten in...

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