Auftritt
Theater der Stadt Aalen: Kriegstraumata zwischen den Kulturen
„Die lichten Sommer“ von Simone Kucher (UA) – Regie Tonio Kleinknecht, Bühne und Kostüme Ana Tasić
von Elisabeth Maier
Assoziationen: Baden-Württemberg Theaterkritiken Theater der Stadt Aalen

Die Freundschaft zweier Mädchen in Zeiten von Krieg und Umsiedlung erzählt die Autorin Simone Kucher in ihrem Roman „Die lichten Sommer“, erschienen im Jahr 2024. Unbeschwert spielen sie am Ufer der Thaya zwischen Büschen und Gras in den Gebieten, die früher die Heimat der Sudetendeutschen war. Bis die Nationalsozialisten mit der Judenverfolgung die Menschen in Angst und Schrecken versetzten, lebten Deutsche und Tschechen da miteinander. Tonio Kleinknecht, Intendant des Theater Aalen, hat den spannenden Stoff für das Theater entdeckt. Er inszeniert die Familiengeschichte deutschsprachiger Tschechen als Balanceakt zwischen den Kulturen. Deutsche wie Tschechen erlebten die Kriegstraumata.
So, wie die Kinder unbeschwert auf dem riesigen abgestorbenen Baumstamm balancieren, gelingt es Kleinknecht in seiner Theaterfassung aber auch, die lichten Momente in dem Text schön mit den schweren in Einklang zu bringen. Was die Menschen im Krieg und nach der „Zwangsumsiedlung“ erleben, ist alles andere als leicht. Die Autorin Simone Kucher ist in Ellwangen geboren, nur wenige Kilometer von Aalen entfernt. Als 2016 die Sudetendeutschen Verbände als letzte ihre Forderung nach der Rückgabe der im Zweiten Weltkrieg verlorenen Gebiete aufgaben, schrieb die Theaterautorin ihren ersten Roman. Mit dem Aalener Theaterchef hat sie die Bühnenfassung der besonderen Familiengeschichte entwickelt.
Sie erzählt das Leben des Mädchens Nevenka, das in einem kleinen Dorf nahe Brno aufwächst. Der Schauspielerin Valeria Prautsch gelingt das Kunststück, die Protagonistin als junge wie auch als alte Frau zu zeichnen. Ausstatterin Ana Tasić zeigt die Zeitsprünge mit den Kostümen. Im leichten Sommerkleidchen macht die Schauspielerin eine ebenso überzeugende Figur wie als ältere Frau mit Pelzmantel und Mütze, die in ihrer Frustration gefangen ist. Wunderschön und leicht spielt Prautsch die Szenen, die die Kinder am Wasser erleben. Mit ihrer Freundin Zena, selbstbewusst und frech gespielt von Mayra Bosshard, erlebt sie nicht nur wilde Abenteuer in der Natur. Krieg und Verfolgung rauben den Kindern die Unbeschwertheit. Doch die lassen sich die zwei nicht nehmen.
Die wunderbaren Spielszenen, in die sich Valeria Prautsch und Marya Bosshard einspinnen wie in einen Kokon, werden von der Wirklichkeit zerstört. Nach dem Kriegsende wird Nevenka als Angehörige der deutschen Minderheit verfolgt. Aus Angst vor Vergewaltigung schert ihr die Mutter die Haare und beschmiert ihr Gesicht mit Ruß. Zusammengekauert sitzt die Schauspielerin am Boden. Die Furcht vor den Soldaten, die Frauen und Kinder vergewaltigen, ist in jeder Geste abzulesen.
Simone Kuchers Erzählstil, der das schwere historische Thema auf einer persönlichen Ebene spielerisch und doch tiefgründig vermittelt, erfasst das Ensemble. Den schwierigsten Part hat Elias Popp, denn die Männerfiguren sind sehr klischeehaft angelegt. Besonders gut gelingt ihm der Spagat in der Rolle von Nevenkas Schwiegersohn Robert. Er heiratete Nevenkas Tochter Liz, die als Kind der Geflüchteten nach der zwangsweisen „Umsiedlung“ Probleme hat, sich in der deutschen Gesellschaft zurechtzufinden. Statt sie auf Augenhöhe zu respektieren, schwingt er sich zum Wohltäter auf, der „die Frau aus den Barracken“ gerettet hat. Sein erfrorenes Lächeln schmerzt. Diese überhebliche Haltung gibt er an die Kinder weiter. Mama sei ein „Lüchtling“, plappert die kleine Tochter das Gesagte nach. Was diese Ausgrenzung der eigenen Familie macht, zeigt Mayra Bosshard ausdrucksstark und mit großer Tiefe. Fassungslos liegt sie am Boden, schaut ins Leere. Gerade in den Augenblicken, wenn die Sprache versagt, läuft die Spielerin zu Hochform auf.
„Die lichten Sommer“ in der Fassung des Aalener Intendanten Tonio Kleinknecht ist mehr als eine Geschichtsstunde auf der Bühne. Mit dem jungen Ensemble gelingt es dem Regisseur, gerade Jugendlichen die Geschichte auf einer sehr persönlichen Ebene nahezubringen. Das macht den Reiz der Produktion aus, die auch von vielen Schulklassen gebucht wurde. Die Geschichte der Sudetendeutschen, von denen gerade in Aalen und Umgebung viele eine neue Heimat gefunden haben, erzählt das Produktionsteam humorvoll und mit viel Tiefgang. Gerade da liegt in der Aufarbeitung noch so vieles im Argen. Die jungen Schauspieler:innen machen dem Publikum Lust, sich mit der Geschichte ihrer Familie zu beschäftigen. Und die ist alles andere als lästiger Lernstoff.
Erschienen am 28.11.2025


















