Auftritt
Theaterhaus Hildesheim: Die Unsichtbaren
„all the moves we make in the dark“ (UA) – Konzept und Performance Hanni&Anni (Hannah Brown und Anne Küper), Interviews und szenische Mitarbeit Awa Winkel, Fynn Schroer, Nina Koempel, Dramaturgische Beratung Nina Koempel
von Lina Wölfel
Assoziationen: Niedersachsen Theaterkritiken Hannah Brown Anne Küper Theaterhaus Hildesheim
8 Adapterleitung auf SCHUKO, 3 DIN-Kabel 8polig männlich auf DIN-Stecker 8polig männlich, 10 DIN-Kabel 8polig männlich auf DIN-Stecker 8polig männlich, mit Drehverriegelung, 16 DMX-Kabel 5polig, 1 Doppel-Cinch Kabel, 2 G-Plug Antennenkabel, 8 Harting 16pol weiblich, 1 HDMI-Kabel, 3 Lan-Kabel, 2 Lautsprecherkabel 2 Lightning auf USB-Kabel und 53 weitere Kabel, zum Teil undefinierbar, bilden eine Höhle im Zentrum der Bühne. Hände schieben sich zwischen den roten, gelben, weißen, grauen, blauen und schwarzen Drähten hindurch, winken den Zuschauer:innen zu. Das Ganze wirkt pantomimisch. Die Hände reichen einander einen Föhn, stecken ihn in ein Verlängerungskabel, tadaaaa, welch ein Zaubertrick. Aus dem Kabelhaufen erheben sich die Performer:innen, eine im Blau-, die andere im Rotmann, darunter rot-blau-beflammte-Meshoberteile. Sie sind heute Abend da, mit 200 Schrauben, 5 LED-Scheinwerfern, Licht- und Tonpult und den Kabeln. Sie stehen im Scheinwerferlicht, das sie selbst angemacht haben. Und wenn sie wollten, könnten sie den ganzen Abend zusammenbrechen lassen. Da würde auch der virtuoseste Monolog, das extravaganteste Kostüm, das beeindruckendste Bühnenbild nichts nützen.
Das Kollektiv Hanni&Anni widmet sich in ihrer Performance „all the moves we make in the dark“ denjenigen, die zur Vorstellung nicht da sein können. Denjenigen, die „früher kommen und später gehen. Denen, die den Laden am Laufen halte. Denjenigen, den ein eigenes ästhetisches Empfinden abgesprochen wird, obwohl sie mehr Theater gesehen haben, als die meisten Schauspieler:innen, Dramaturg:innen und Regisseur:innen.“ Den Veranstaltungstechniker:innen, Licht-, Ton- und Bühnenmeister:innen. Und insbesondere den FLINTA-Techniker:innen, den Schatten der Schatten. Denjenigen, die meistens nicht nur in der Hierarchie des Hauses ganz unten stehen, sondern auch noch innerhalb ihrer männlichen Kollegen. Weil sie von ihnen als schwächer, als unsicherer, als weniger qualifiziert oder einfach als nicht-männlich markiert werden – was ungefähr das Gleiche ist.
Dafür haben Hannah Brown und Anne Küper mit drei nicht cis-männlichen Techniker:innen zusammengearbeitet, die sie über einen Open-Call gefunden haben – Nina, Fynn und Awa. Nina ist technische Leiterin der Landungsbrücken in Frankfurt, Fynn Fachkraft für Veranstaltungstechnik in Hannover und Awa freie Technikerin in Bochum und der Umgebung. Dass die drei nicht auf der Bühne stehen, liegt an der Unvereinbarkeit der jeweiligen Schichtpläne. Weil Techniker:innen zwar selten sichtbar sind – außer vielleicht, wenn sie in schwarzen Cargo-Hosen Bühnenbilder von rechts nach links schieben – ohne sie aber nichts läuft. Besonders eindrücklich zeigte sich das während der Pandemie, als Vorstellungen nicht etwa wegen des künstlerischen Personals ausfallen mussten, sondern weil niemand das Licht anmachen konnte.
Trotzdem sollen ihre Wünsche und Ideen sich auf der Bühne wiederfinden. Hanni&Anni verbinden dafür inhaltliche Elemente, die sich aus den geführten Interviews ergeben haben, mit Improvisationssequenzen, die stilistisch an She She Pops „Schubladen“ erinnern oder sich auf ältere Arbeiten von Anne Küpers Kollektiv taft. beziehen. Über Aufforderungen wie „25 Dinge, die sich Nina als Szenen auf der Bühne gewünscht hat“ und genau diese Szenen später auch gespielt werden, wird transparent gemacht, an welchen Stellen die Abwesenden auf der Bühne dennoch mit-inszeniert haben. In einer Erzählsequenz wird geschildert, wie sich während einer Vorstellung ein Scheinwerfer verselbstständigt hat, nicht mehr zentral gesteuert werden konnte. Die technischen Lösungen mussten improvisiert werden, sollten möglichst nicht auffallen, das bedeuet: Neben Lichtqueues und Spots musste Ausgleichsscheinwerfer angesteuert, Lichtstimmungen mal eben angeglichen und das ganze parallel zum Vorstellungsbetrieb via WhatsApp kommuniziert werden.
Der Abend verbindet auf ästhetischer und inhaltlicher Ebene das Dokumentarische mit dem Improvisierten, Präzisionsarbeit mit Missgeschicken, Ordnung mit Chaos. Was erstmal nach einer ziemlich präzisen Überschreibung des Arbeitsalltags von Techniker:innen auf die Bühne klingt, verliert sich während der knapp 60-minütigen Performance leider manchmal im Überschuss der Formatansätze. Es fehlt mitunter der Fokus, die Konzentration, die Ruhe, einzelne Bilder und Ansätze auch mal länger stehenzulassen oder konsequenter miteinander zu verbinden. Da folgt eine flammende Rede über das dekonstruktive Potential der Techniker:innen, auf eine Catwalk-Szene mit Sektgläsern, auf einen Monolog mit „Schneller Brille“ auf eine Liebeserklärung an das Schuko-Kabel. Das Ende? Klassisch Theater. Ein Popsong, Choreo, alles was Technik und Schauspieler:innen können, wird ausgepackt, Applaus, aber keine Verbeugung. Es wird abgebaut. Man will ja auch irgendwann nach Hause kommen. Eine der 25 Szenen-Ideen von Nina.
Erschienen am 3.2.2023