Theater der Zeit

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Der schwere Weg ins Theater

Kulturelle Diversität als Herausforderung im Theater für junges Publikum

Erschienen in: IXYPSILONZETT: IXYPSILONZETT 02/2016 – Theater mit Kindern (10/2016)

Assoziationen: Kinder- & Jugendtheater

Theater Bremen „Was siehst du?“ (2015). Foto: Jörg Landsberg
Theater Bremen „Was siehst du?“ (2015). Foto: Jörg Landsberg

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Wer geht ins Theater und wer nicht? Und vor allem warum? Hemdsärmelig heruntergebrochen könnte man die Diskussion um die Öffnung des Theaters für Junges Publikum für Menschen, die bisher den Weg ins Theater nicht fanden, wohl zusammenfassen. Eine Diskussion, die schon lange geführt wird und zu viel Kopfzerbrechen bei Theatermachern und Veranstaltern führt. Und eine Diskussion, die mit den Jahren nicht unbedingt einfacher geworden ist. So jedenfalls schien es bei der Reflexionsveranstaltung anlässlich des Tag der Theaterpädagogik, zu der das Förderprogramm „Wege ins Theater“ der ASSITEJ e. V. in Kooperation mit FLUX, LaPROF und dem Bundesverband Theaterpädagogik (BuT) eingeladen hatte.

„Diversitätsorientiertes Audience Development. Eine bildungs- und kulturpolitische Herausforderung im Theater für junge Zuschauer“ lautete die Überschrift der Veranstaltung, die Theaterpädagogen, Dramaturgen, Theatermacher und Kulturvermittler ins Theaterhaus Frankfurt brachte. Im Podiumsgespräch mit Ipek Abali (Westfälisches Landestheater Castrop-Rauxel), Volkan T., (Akademie der Autodidakten im Ballhaus Naunynstraße, Berlin) und Ute Bansemir (Theaterperipherie Frankfurt) und im Kurzimpuls von Anna Eitzeroth (Projektleiterin des ASSITEJ-Programms „Wege ins Theater“) wurden dabei unterschiedliche Ansätze, Formate und Strukturbeispiele vorgestellt, die vom Scoutprogramm bis zur künstlerischen Beteiligung Ideen darstellten, wie man sein Publikum über kulturelle Unterschiede hinweg erreicht und ins Theater holt. In anschließenden Kleingruppengesprächen ging es dann konkret um die Möglichkeiten der kulturellen Teilhabe durch Scout-Programme, durch das Engagement der freien Theater und durch Kooperationen und Projekte im ländlichen Raum.

Die Wege ins Theater führen durch einen dichten Begriffswald

Ein Programm, das, wie nicht anders zu erwarten, viele Fragen aufwarf und einem noch einmal verdeutlichte, dass man sich bei der Suche nach den Wegen ins Theater erst einmal durch einen dichten Begriffswald schlagen muss. Teilhabe, Migration, Audience Development, Kulturvermittlung, Interkultur, Diversität – alles scheint sich zu vermischen und zu überlagern. Und oft eben auch den klaren Blick auf die Sachlage zu verstellen. Selbst wenn die Fragestellung konkret formuliert ist und man aus einer erkannten Not also die bekannte Tugend machen möchte, stolpert man leicht über die Fallstricke. Manchmal auch über die selbst gebauten.

Da wachsen gut gemeinte Aktionen schnell zu theaterpädagogischen Fabrikbetrieben, die sich dann schnell als Unterrichtsersatz und bunte Lehrplanbegleitung wiederfinden. Da wankt die interkulturelle Ausrichtung, wenn man realisiert, dass es beim eigenen Publikum nicht die kulturellen Unterschiede sind, die Menschen vom Theater fern halten, sondern es eine Frage des sozialen Milieus zu sein scheint. Und wie schlägt man denn jetzt die Brücke zu den erwachsenen Multiplikatoren, ohne die bestehende Abhängigkeit von Schulen und Kitas noch mehr auszubauen? Oder braucht es die am Ende doch nicht?

Es war ein Tag voller Fragezeichen. Gute Fragezeichen hinter wichtigen Fragen. Ein Tag, der am Schreibtisch, beim Darübernachdenken und Zusammenführen der einzelnen Ideen und Gedanken der Gesprächsrunden zu einer simpeln und naiven Frage führte: Warum ist es eigentlich so schwer die jungen Menschen ins Theater zu bekommen?

Nachdenken über sein Publikum

In der Regel werden hier so einige bekannte Gründe angeführt: kulturelle Unterschiede, Sprachbarrieren, soziale Hintergründe, Kulturverdrossenheit der Eltern, volle Terminkalender junger Zuschauer oder desinteressierte Lehrer und Erzieher. Und das ist nur ein Teil der Liste an Hindernissen auf dem Weg zu vollen Besu - cherrängen und Sitzkissen. Die simple Tatsache, dass Kinder eben nicht alleine ins Theater gehen und die terminliche Konkurrenz mit Schule, Freizeit und anderen kulturellen Veranstaltungen sind dabei natürlich genauso wenig von der Hand zu weisen wie die Notwendigkeit mit Bildungseinrichtungen zusammen zu arbeiten, wenn es darum geht sein Zielpublikum zu erreichen. Und das ist im Jungen Theater nun einmal, im Gegensatz zu allen anderen Sparten, ganz klar definiert.

In Gesprächen, und das nicht nur hier in Frankfurt, über die Schwierigkeit, seine Zuschauer zu finden und sie auch zu behalten, fällt allerdings eines immer häufiger auf: ein sehr angeschlagenes Selbstbewusstsein der Akteure und Macher des Theaters für Junges Publikum. Fast will es einem so scheinen, als würde man seiner eigenen Arbeit gar nicht mehr vertrauen. Seinen Themen, Geschichten und Ideen. Dabei sind es doch genau diese, die Menschen ins Theater bringen.

Und daher ist das Nachdenken über sein Publikum und die möglichen neuen Wege heute wichtiger denn je. Wege, die in zwei Richtungen gehen und eben nicht nur ins Theater sondern auch zum Zuschauer führen können. Und sollten. Die Idee vom Zuschauer als Mitspieler, Komplize und Gast war und ist die große Stärke des Theaters für Kinder und Jugendliche. Deshalb ist es an der Zeit, wieder ein Stück näher an seinen Zuschauer zu rücken. Zeit das Leben der jungen Menschen nicht auf der Bühne abzubilden, sondern ins Theater hinein zu holen und dabei das Theater als offenen Raum zu verstehen, der Teil der Lebensrealität und des Alltags seiner Besucher sein will.

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