Der antinaturalistische Umbruch in Europa
Max Reinhardt
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Max Reinhardts international weithin wirkenden Arbeiten spielten vor dem Ersten Weltkrieg eine Hauptrolle für die antinaturalistische Kehre. 1926 veröffentlichte sein Dramaturg Arthur Kahane ein Gespräch, in dem er 1901 gleichsam sein und Reinhardts Theaterideal umrissen hatte: „Was mir vorschwebt, ist ein Theater, das den Menschen wieder Freude gibt. Das sie aus der grauen Alltagsmisère über sich selbst hinausführt in eine heitere und reine Luft der Schönheit. Ich fühle es, wie es die Menschen satt haben, im Theater immer wieder das eigene Elend wiederzufinden und wie sie sich nach helleren Farben und einem schönen Leben sehnen.“ Es gebe „nur einen Zweck des Theaters: das Theater, und ich glaube an ein Theater, das dem Schauspieler gehört. Es sollen nicht mehr, wie in den letzten Jahrzehnten, die rein literarischen Gesichtspunkte die allein herrschenden sein.“245
Reinhardt wolle ein Ensemble, das eine Art Kammermusik des Theaters machen kann: „Und dann, wenn ich mein Instrument so weit habe, daß ich darauf spielen kann wie ein Geiger auf seiner kostbaren alten Geige, wenn es mir gehorcht, wie ein gut gespieltes Orchester dem Dirigenten, dem es blindlings vertraut, dann kommt das Eigentliche: Dann spiele ich die Klassiker.“ Von den Klassikern werde ein neues Leben über...