Eine andere Moderne II: Commedia dell’Arte
Geschicke der modernen Commedia-Form
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Die alte Comédie Italienne und das Jahrmarktstheater von Lesage und Piron waren vielleicht der nach Aristophanes erste und für lange Zeit einzige bedeutende Ansatz eines großen komischen philosophischen Theaters, das sich, das Kunstpotenzial phantasievoller theatraler Produktion und Kommunikation höchst kreativ und mit dem Einsatz aller historisch verfügbaren Techniken ausschöpfend, massiv in der satirisch-parodistischen Kritik wesentlicher soziokultureller Realitäten engagierte. Ihre Zeit währte kein halbes Jahrhundert.
Das Jahrmarktstheater verlor nach 1730 seine philosophische, gesellschaftspolitische Bedeutung. Die scharfe aufklärerische Komik der Jahrmarktspieler schwächte sich ab, Musikalisches und Tänzerisches wurden überbetont. Das neue Théâtre Italien, das 1716 nach Paris zurückgekehrt war, konnte nicht mehr an das gesellschaftskritische Format des alten anknüpfen. Es rückte die positive Darstellung der individuellen Liebe in den Vordergrund und begann sich im Sinne Rousseaus für den natürlichen, den „unverstellten“ Menschen zu interessieren, was in der Tendenz die Aufgabe des Masken-Theaters bedeutete. Man näherte sich dem ordentlichen Theater mit seiner affirmativen Ausstellung des bürgerlichen Individuums und der ihm eigenen neuen Lebenswelt.210 1762 wurde verfügt, dass die Italiener und die Franzosen der Jahrmärkte gemeinsam eine „Opera comique“ als stehendes Pariser Theater betreiben. Die „Opéras comiques“ der Jahrmarktstheater wurden in einer Autorisation durch die Stadt Paris 1752 den Comédiens Italiens eingegliedert....