Theater der Zeit

Auftritt

Buckow: Buckower Rhapsodien

Strandbad: „Der Jux“ (UA) von Jan Koslowski & Ensemble. Regie Jan Koslowski, Kostüme Svenja Gassen

von Erik Zielke

Erschienen in: Theater der Zeit: Nino Haratischwili: Fürchtet den Frieden (10/2018)

Assoziationen: Brandenburg

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„Zunächst kommt der Sommer, dann kommen die Sommergäste und ganz zum Schluss kommt das Sommertheater.“ Mit dieser Klimax, vorgetragen im Eröffnungsmonolog, beginnt ein heiterer Open-Air-Theaterabend im Strandbad Buckow. Sommer, Sommergäste und Sommertheater in Brandenburg? Allerdings. Fünfzig Kilometer von Berlin entfernt und zwischen Wald und einer Vielzahl von Seen gelegen, ist Buckow der ideale Rückzugsort für Hauptstädter und schon lange kein Geheimtipp mehr. Das kulturelle (und kulinarische) Angebot unterscheidet sich grundlegend von dem gewohnten in der sogenannten Provinz. Buckows prominentester Sommergast, Bertolt Brecht, wohnte hier am See, um endlich wieder, wie er selbst sagte, Horaz lesen zu können, und lud Schüler und Wegbegleiter ein. In Buckow, Entstehungsort von „Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher“ und Namensgeber für die Brecht’sche Elegiensammlung, wurde Welttheatergeschichte geschrieben.

Der Regisseur Jan Koslowski und die Darsteller, die selbsternannte „Buckowbande“, kommen aus dem Umfeld des Berliner Volksbühnen-Jugendclubs P14 – und das merkt man ihnen an. Das Pollesch-Theater trägt hier seine Früchte: Wort- und wortspielreich ergibt sich ein feines Assoziationsnetz; die Figuren fungieren vor allem als Träger von Ideen; die Proklamationen sind wichtiger als eine stringente Fabel.

Stefaan Curella, Hauptkommissar aus Belgien, reist inkognito als Schauspieler getarnt nach Brandenburg, um einer Theatertruppe auf die Spur zu kommen, die „Die Marillenplantage“, ein Stück frei nach Tschechows „Kirschgarten“, zur Wiederaufführung bringen will. Seine Mission: herausfinden, was bei der letzten Aufführung in Fürstenwalde vor acht Jahren schiefgegangen ist. Dazu kommt weiteres Bühnenpersonal: die kapitalismuskritische Regisseurin, die geldgeile Produktionsleiterin und einige Darsteller. Schauspieler, die Schauspieler spielen also. All das bietet Anlass – nicht ohne ein großes Maß an Klamauk – über das Theater selbst nachzudenken. Recht virtuos und kenntnisreich geht das über die Bühne, aber die Methode lädt dazu ein, sich vor einer klaren Positionierung wegzuducken. So ist es nur konsequent, dass auch eine Figur mit dem Namen Ironika auftritt und über das Phänomen der Ironie auf dem Theater monologisiert – jede Kritik jedoch kann so nur selbstbezogen bleiben. Wie es sich für einen Abend im Sommertheater gehört, gibt es ein Happy End. Das Geheimnis wird gelüftet: Der Jux ist vor acht Jahren abhandengekommen und taucht nun unverhofft wieder auf – das Theater ist gerettet.

Ein Coup gelingt mit dem Bühnenbild. Es bedarf nicht mehr als eines Metallgestells und eines Vorhangs. Denn der schönste Bühnenboden ist ohnehin der Strandsand. Zwischen Kassenhaus mit Deutschlandfähnchen, Sprungturm und Umkleidekabinen sitzt das Publikum auf Bierbänken mit dem Sonnenuntergang im Rücken und sieht mitunter am Geschehen vorbei auf den Star des Abends, den Schermützelsee. Hierhin begibt sich Schauspielerin Leonie Jenning auf den Steg, spricht mit ausholender Geste in die Richtung, wo das Brecht-Weigel-Haus steht, das zum Museum versteinerte Grundstück vom großen B. B., und fragt nach dem Verbleib des Brecht’schen Theaters.

Nach sechzig Minuten im besten Sinne guter Unterhaltung ist die Vorstellung vorbei. Es war ein Theaterabend für junge Berliner Sommergäste, nicht für die Buckower Anwohner. Nach der Premiere bringt ein gecharterter Bus die Zuschauer zum nächsten Bahnhof – und der Busfahrer, ein Freund der Kultur, macht einen Zwischenhalt vorm Kino: Hier gibt es die letzte Möglichkeit für alle, Bier zu kaufen, um sich die Wartezeit zu verkürzen. Vergnügt geht es zurück in die Stadt, auch mit der Frage im Kopf: „Wo ist das gute, deutsche, epische, Brecht’sche Theater?“ Vollkommen ironiefrei. //

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