So befremdend die Idee auf den ersten Blick wirkt, so bestechend wird sie von Volker Lösch und seinem Team am Essener Grillo-Theater entwickelt. Odysseus und seine Gefährten auf ihrer zehnjährigen Grand Tour durch die von bizarren mythologischen Gestalten besetzten Schauplätze der antiken Welt, den Hades eingeschlossen: Das ist die zivilisierte Menschheit, also quasi wir, die Theaterbesucher. Jene fremden Wesen jedoch mit ihrer dunklen Haut und ihrer rauen Stimme, denen man nachsagt, dass sie Menschen in Schweine verwandeln bzw. Wäsche von der Leine und Kinder aus den Häusern ihrer Eltern stehlen: Das sind sie, die Sinti und Roma, die jahrhundertelang ausgegrenzt, verfolgt und während des Holocausts vernichtet wurden. Denn, so Lösch, die Abenteuer des Odysseus stellen nichts anderes dar als den Prozess der Zivilisation, bei dem es darum geht, Tugenden wie Rationalität, Hierarchie und Triebverzicht einzuüben und als Paradigma für alle Zukunft zu etablieren.
Die Dialektik der Aufklärung wird also fortgeschrieben, in deutlichen, vielleicht überdeutlichen Bildern, aber diese Überdeutlichkeit spiegelt seitenverkehrt die Klischees, die Generationen von Mitteleuropäern im Kopf hatten, als sie von „Zigeunern“ sprachen und ihre Furcht vor dem herumfahrenden Volk in Verachtung und Hass verwandelten. So bestechend die Idee dieser Inszenierung ist, so einfach ist sie letztlich auch. Sechs...