„Who’s there?“
Zur Krisenstruktur des Auftritts in Drama und Theater
von Juliane Vogel
Erschienen in: Recherchen 115: Auftreten – Wege auf die Bühne (11/2014)
Beschreibt man den sozialisierten Menschen als ein auftretendes Wesen, so ist das Theater das Medium und das Drama die Gattung, in dem er sich reflektiert. Seine Existenz ist Bühnenexistenz insofern, als er sich anderen lebhaft und deutlich vor Augen stellt.24 Jeder Kontakt mit der Öffentlichkeit bedeutet ein In-Erscheinung-Treten, jede menschliche Aktivität auf der Bühne setzt einen Auftritt voraus. In seiner Schrift Beschreibung des Menschen gibt Hans Blumenberg nichts weniger als eine anthropologische Formel des Auftritts, wenn er den Moment, in dem der Mensch aus einer räumlichen Umschlossenheit hervortritt, als einen „Komplex der Visibilität“ beschreibt, „der Gesehenwerdenkönnen, Sichsehenlassen und Sichdarstellen umschließt“25. Durch einen Schritt hinaus und nach vorn macht er auf sich aufmerksam und lässt sich vom Gesehenwerden durchdringen. „Auftritt“ bedeutet daher den Eintritt in „a space of appearance“26, und er bezeichnet jenen Moment, in dem sich das Drama seiner theatralen Prämissen versichert. Indem es seine Figuren auftreten lässt, verweist es auf das théatron als einen Ort des Sehens. Wie aber kommt man ihm auf die Spur?
Umkreisen Drama und Theater somit einen grundlegenden Akt menschlicher Selbstkonstitution, so verwundert es, dass ihm wenig theoretische oder poetologische Aufmerksamkeit zuteilwurde. Ein zusammenhängender historischer Diskurs über das Auftreten lässt...