Das Paradox über den Schauspieler
Quelle 6
von Denis Diderot
Erschienen in: Lektionen 3: Schauspielen Theorie (12/2010)
Assoziationen: Schauspiel
Erster: Wenn der Schauspieler Gefühl hätte, könnte er – Hand aufs Herz! – zweimal hintereinander die gleiche Rolle mit der gleichen Wärme und dem gleichen Erfolg spielen? Bei der ersten Vorstellung wäre er warm, ja heiß, um bei der dritten bereits erschöpft und eiskalt zu sein. […] Wenn er im Spiel nur er selbst ist, wie soll er je aufhören, er selbst zu sein? Wenn er aufhören will, er selbst zu sein, wie soll er den Punkt finden, an den er sich stellen und aufhören muß?
Was mich in meiner Meinung bestärkt, ist die Ungleichheit der Schauspieler, die mit der Seele spielen. Erwartet von ihnen keinerlei einheitliche Wirkung, ihr Spiel ist abwechselnd stark und schwach, heiß und kalt, platt und erhaben. Sie werden morgen an der Stelle versagen, an der sie heute geglänzt haben, umgekehrt werden sie dort hervorragen, wo sie am Tage vorher danebengegriffen haben. Dagegen bleibt sich der Schauspieler, der mit Überlegung nach dem Studium der Natur in dauernder Nachahmung eines idealen Vorbildes aus der Phantasie, dem Gedächtnis spielt, immer gleich und vollkommen: alles war abgemessen, abgewogen, überlegt, geordnet worden in seinem Kopfe. In seiner Sprache ist weder Monotonie noch Dissonanz. Die Erregung hat ihre Entwicklung, ihre Wellen,...