Theater der Zeit

Thema: Theater in Mecklenburg-Vorpommern

Im Krisentraining

Wenn sich ein Bundesland seine Kultur nicht mehr leisten will – oder kann. Eine Positionsbestimmung zur Lage in Mecklenburg-Vorpommern

von Gunnar Decker

Erschienen in: Theater der Zeit: Aleksandar Denic: Realität des Absurden – Bühnen für Castorf in Berlin und Bayreuth (06/2013)

Assoziationen: Mecklenburg-Vorpommern

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Der Diskurs zur Krise des Theaters kreist und arbeitet daran, uns mittels Ermüdung an ihre Anwesenheit zu gewöhnen. Das ist vielleicht die gefährlichste Form der Krise: zu glauben, alles werde schon irgendwie so weiterlaufen wie bisher.

Adolf Dresen ging bereits 1992 über den Rahmen tradierter Vorstellungen von Theater hinaus und schrieb: „Die Krise des Theaters ist so alt wie das Theater. Seit 2000 Jahren bewegt und verändert es sich in seinen Krisen. Die Krise, von der im folgenden die Rede ist, ist nicht von dieser Art. Sie ist keine Krise des Theaters, das Theater deformiert sich vielmehr, wie andere Künste auch, im Sog einer übergreifenden Zivilisationskrise. Diese äußert sich nicht nur in Natur-, sondern auch in Kulturzerstörung, im Vergessen der Kultur.“

Ganz besonders weit fortgeschritten scheint das Vergessen der Kultur in Mecklenburg-Vorpommern. Seit zwanzig Jahren hat das Land seine Zuschüsse für die Kulturszene nicht erhöht – und plant jetzt sogar, sie drastisch zu kürzen. Rostocks Oberbürgermeister Roland Methling sagte kürzlich, Kultur müsse man sich erst einmal leisten können – und meinte wohl, Rostock könne sich sein Volkstheater nicht mehr leisten, jedenfalls nicht als Vierspartenhaus. Am liebsten wäre der Politik eine schnelle Fusion des Volkstheaters Rostock mit dem Staatstheater Schwerin, so wie bereits Neubrandenburg mit Neustrelitz und Greifswald mit Stralsund und Putbus fusioniert wurden. Aber das Volkstheater hat eine große eigenständige Tradition, die kann man nicht einfach wegfusionieren. Denn woher soll ein Impuls für die Zukunft kommen, wenn nicht auch aus der Erinnerung an das, was in dieser Stadt einmal möglich war? Kooperieren ja, aber die eigene Selbständigkeit aufgeben, nein. Das ist die Position des Volkstheaters, die es bislang verteidigen konnte.

Seit über zehn Jahren forciert die Politik nun ihren Druck auf die Theater des Landes, die in GmbHs umgewandelt wurden, obwohl bei der schlechten Finanzierungslage klar sein musste, dass sie dann schnell an der Schwelle zur Insolvenz stehen würden (Schwerin ging es vor Kurzem so). Das Strukturproblem einer dauerhaft gesicherten Theaterlandschaft in Mecklenburg-Vorpommern ist weiterhin ungelöst. Und das zerrt an den Nerven der Beteiligten. Die Stimmung ist schlecht, zu lange schon wird der Krisenfall ausgerufen, immer wieder geht es nur darum, mit noch weniger Geld auszukommen. So berichtete Theater der Zeit bereits im Märzheft 2001: „Der Senat von Rostock will sein Theater schließen. Ohne Zweifel die einfachste der drei Varianten, das finanzielle Fiasko um Kultursubventionen vom Tisch zu bekommen.“ Das Einzige, was sich in den letzten zwölf Jahren an dieser ständigen Negativdiskussion geändert hat, ist, dass aus drei inzwischen neun Varianten geworden sind. Kein Wunder, dass das Misstrauen in die Politik von Bildungsminister Mathias Brodkorb und Oberbürgermeister Methling inzwischen so groß ist, dass man ihnen wenig mehr als Sonntagsreden zutraut.

Am 4. Mai berichtete die Ostseezeitung über den Weggang von Sabrina Sadowska, der Ballettmeisterin in Greifswald, die in 16 Jahren über 50 Choreografien entwickelte. Ihr ist vor allem der überregional gute Ruf des Tanzes in Vorpommern zu verdanken. Sie wird in der kommenden Spielzeit nach Chemnitz gehen und verabschiedete sich vom Theater Vorpommern mit den Worten: „Aber dieser Kulturkannibalismus, der von Schwerin angeregt wurde, ist entwürdigend.“ Und zur von der Landesregierung geforderten Politik der „kulturellen Leuchttürme“ sagte sie: „Woher sollen diese Leuchttürme kommen, wenn wir so miteinander umgehen.“ Es ist also nicht nur der Geldmangel, der der Kultur des Landes zu schaffen macht, genauso, oder fast noch mehr, ist es das mangelnde Vertrauen, das offene Misstrauen zwischen Politik und Kultur.

Die Wahl Sewan Latchinians, noch Intendant der Neuen Bühne Senftenberg, zum Intendanten des Volkstheaters ab der Spielzeit 2014/15 war darum ein überraschendes Hoffnungszeichen. Denn eigentlich wollten Stadt und Land gar keinen neuen Intendanten in Rostock mehr, der dann der geplanten Fusion im Wege steht. Latchinian hat in Senftenberg erfolgreich den Beweis angetreten, dass eine „Zonenrandlage“ manchmal den direkteren Zugang zum Nerv der Zeit ermöglicht, als die sich als Zentrum missverstehende Metropole. Eine große Chance für Rostock, die dort bereits sofort nach Bekanntwerden der Entscheidung wieder schlechtgeredet wurde. Ist jemand, der aus Senftenberg kommt, tatsächlich würdig (also prominent genug) das ruhmreiche Volkstheater zu leiten? Einige Stadtpolitiker wollten die Wahl gleich noch einmal wiederholen lassen. Die örtliche Presse machte umgehend Stimmung gegen Latchinian. So viel Realitätsblindheit sucht ihresgleichen, denn Senftenberg wurde 2005 immerhin zum Theater des Jahres gewählt. Rostock dagegen hätte derzeit gute Chancen auf den Titel eines ewigen Krisenfalls des deutschen Stadttheaters.

Da passt es ins Bild, wenn nun bekannt wird, dass das Volkstheater die neue Spielzeit vorerst nicht planen kann, denn das Geld reicht nur bis Ende 2013. Wie soll unter diesen unwürdigen Bedingungen noch künstlerische Arbeit geleistet werden? Denn Theater lebt auch von der Atmosphäre in der Stadt, es muss gewollt werden. „Volkstheater muss sein“, lautet eine Postkartenaktion des Volkstheaters, das sein Publikum auffordert, für dessen Erhalt zu kämpfen. Aber das geht lange schon so und der Effekt: Ein halbe Million Euro fehlen für die kommende Spielzeit. Statt künstlerischer Hochstimmung immer nur wieder die Angst, gänzlich handlungsunfähig zu werden. Schauspieldirektor Jörg Hückler, der anspruchsvolle Stücke ins Programm hob (wie „Gas 1“ von Georg Kaiser und „Atropa – Die Rache des Friedens“ von „Schlachten“-Autor Tom Lanoye, siehe auch Kurzkritik S. 51), hört zum Ende der Spielzeit auf; die neue Schauspieldirektorin Cornelia Crombholz (für ein Jahr, dann geht sie nach Magdeburg) war mehr als verblüfft, dass ihre Spielzeitplanung so schnell Makulatur werden konnte, und sprach von einem „absoluten Skandal“. Nun wird spekuliert, woher die halbe Million kommen soll. Entweder man schließt das Theater am Stadthafen oder man trennt sich von der Tanzsparte oder man reduziert das Schauspielensemble von 19 auf 12 Schauspieler. Das ist der Stil von Kulturpolitik in Rostock.

Bei solcherart Diskussionen droht Entsolidarisierung. Das A-Orchester will unbedingt ein neues Haus (den Theaterneubau hat die Stadt längst beschlossen), da die Akustik im alten zu schlecht sei – aber so droht das Szenarium, dass Rostock 2018 zwar eine repräsentative Immobilie, aber kein eigenständiges Schauspielensemble mehr hat.

In einer solchen Situation ist es gut, wenn man sich an die großen Traditionen des Volkstheaters erinnert. In den sechziger und siebziger Jahren war es unter seinem berühmt-berüchtigten Intendanten Hanns Anselm Perten DDR-Uraufführungsbühne von Rolf Hochhuth und Peter Weiss. Aber auch Benno Besson inszenierte hier mehrfach. Perten war übrigens auch ein Initiator der jetzt in Rostock so misstrauisch aufgenommenen Ankündigung Sewan Latchinians, mittels „Spektakel“ wieder Bewegung in die festgefahrene Theatersituation der Stadt zu bringen. Das Freiluftspektakel „Klaus Störtebeker“ in Ralswiek auf Rügen ab Ende der fünfziger Jahre folgte einem Plan Pertens. Ebenso die Aufführung der ersten DDR-Rockoper „Rosa Laub“ 1979, mit Motorrad und Rostocker Live-Band Badister auf der Bühne. Manchmal scheint die Vergangenheit innovativer (und toleranter!) gewesen zu sein als die Gegenwart.

Den Gegenbeweis zu erbringen hat das Volkstheater nun mit seinem neuen Intendanten jede Gelegenheit. Zumal auch der Geschäftsführer Stefan Rosinski – krisentrainiert in Berliner Opernstiftung und Volksbühne – nicht nur ein fähiger Organisator ist, dem man zu verdanken hat, dass das Haus nach Schließung aus Brandschutzgründen (200 neue Türen und unzählige Rauchmelder wurden eingebaut) so schnell wieder eröffnen konnte, sondern auch ein Visionär, der von einem „Theater in Transformation spricht“. Bleibt abzuwarten, ob der designierte Intendant Latchinian und Geschäftsführer Rosinski nun gemeinsam die Ignoranten in der Politik das Fürchten lehren – oder aber sich gegenseitig im Gerangel um Kompetenzen blockieren. Spätestens dann gingen im Volkstheater die Lichter endgültig aus. //

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