Theater der Zeit

Thema

Leichtes Holz und unschlagbarer Schaumstoff

Puppenbauer über ihre Lieblingsmaterialien

Menschen, die professionell Puppen bauen, sind nicht selten auf ein Material spezialisiert. Im double-Fragebogen stehen sich zwei ganz unterschiedliche Vorlieben gegenüber: Rainer Schicktanz (der auch Puppenspieler, Regisseur und Autor ist) gehört zu den renommiertesten Puppenbauern seiner Generation. Seit 1996 arbeitet er freiberuflich für Theater in ganz Deutschland. In seiner Werkstatt in seinem Heimatort Radebeul befasst er sich am liebsten mit der Bearbeitung von Holz. Die Puppentheatergruppe Das Helmi, gegründet 2001, ist bekannt für ihre trashig-ironischen Adaptionen großer Film-, Dramen- und Romanstoffe. In den Inszenierungen kommen bevorzugt (Klappmaul-)Puppen aus Schaumstoff zum Einsatz. Ur-Mitglied Florian Loycke erläutert, warum das so ist und wie es dazu kam. double stellte beiden Künstlern dieselben Fragen zu den unterschiedlichen Werkstoffen.

von Florian Loycke und Rainer Schicktanz

Erschienen in: double 45: An die Substanz – Material im Figurentheater (04/2022)

Assoziationen: Puppen-, Figuren- & Objekttheater Dossier: Material im Figurentheater

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Drei Worte, die den Werkstoff HOLZ beschreiben:

Inspirierend, lebendig, warm. Und Bearbeitungsrückstände sind zur Wärmeerzeugung verwendbar.

Wie kamen Sie zum HOLZ? (Oder das HOLZ zu Ihnen?)

Eine Ausbildung zum Möbeltischler offenbarte mir die mannigfaltigen Bearbeitungsmöglichkeiten dieses Werkstoffs, das Schnitzen erlernte ich autodidaktisch. Meine Beschäftigung mit dem Herstellen von Puppentheaterfiguren begann in einer Zeit (Ende der 1970er-Jahre), wo fast nur Stabpuppen mit kaschierten Kugelköpfen nach russischem Vorbild auf der Bühne zu sehen waren. Sowohl ich als auch andere junge Puppenbauer*innen suchten nach neuen Ausdrucksformen und landeten dabei zwangsläufig auch bei den historischen Spielarten, zum Beispiel Marionetten und Handpuppen – und die sind traditionell aus Holz geschnitzt.

Warum arbeiten Sie so gerne mit HOLZ?

Der Gang zum Holzschauer, das Herausnehmen des Lindenholzes, das ist jedes Mal ein kleines Fest. Zu gern möchte ich wissen, wo dieser Baum gestanden hat, wie er aussah und was für Geschehnisse sich in seiner Nähe abgespielt haben. Stattdessen betrachte ich die Maserung. Ist der Baum auf fruchtbarem Boden gewachsen, sind die Jahresringe weiter auseinander und das Holz lässt sich relativ leicht bearbeiten, es ist gelblich hell. Wenn es eher rötlich erscheint, ist schon etwas mehr Kraft bei der Bearbeitung nötig. Wenn die Figur fertig und bemalt ist, zum Beispiel eine Handpuppe, kommt oft die Frage: „Die ist aber leicht, ist das wirklich Holz?“ Dann weiß ich, dass das Aushöhlen des Kopfes, bis man Licht durch das Holz scheinen sieht, sich gelohnt hat.

Was kann eine Puppe aus HOLZ besonders gut? Was zeichnet sie aus?

Bei Marionetten, zumindest solchen mit menschlichen Proportionen, hat die Summe der einzelnen Körperteile das richtige Gewicht, um ein sauberes Gangbild zu erzeugen. Die Spieler*innen haben am Fadenkreuz optimale Kontrolle über die Bewegungsabläufe.

Wo liegen die Grenzen des Werkstoffs HOLZ?

Bei größeren Figuren und Objekten kommt man an die Grenze des Machbaren. Immerhin müssen die Spieler*innen mit allerlei Dingen auf der Bühne kämpfen, Timing, Sprache, Gesang etc. Da soll eine zu schwere Puppe nicht noch zusätzliche Probleme bereiten. Bei bestimmten Mechaniken ist der Einsatz von Metall oder Kunststoff vorteilhafter und auch haltbarer. Des Weiteren macht Holz Probleme, wenn Wasser auf der Bühne verwendet wird oder die Puppe hoher Luftfeuchtigkeit ausgesetzt ist, da können die Gelenke aufquellen und unbeweglich werden. Auch wo Transparenz gewünscht ist (zum Beispiel bei farbigen Schattenfiguren), ist Holz eine eher schlechte Wahl.

Wenn nicht HOLZ, dann…?

Alles! Man kann buchstäblich jedes Material im Puppentheater verwenden (abhängig von der Inszenierungsidee). Das Spektrum reicht vom Schrott bis hin zu Lebensmitteln (obwohl man ja bekanntlich mit diesen nicht spielen sollte!?). Wenn ich an meine eigenen Bühnenstücke denke, dann fallen mir einige ein, wo für den Figurenbau kein Holz verwendet wurde – zum Beispiel diverse Klappmaulfiguren, meistens aus Schaumstoff. Oder Blechbüchsen. Oder Plastikflaschen und Wischmopps. Dann gibt es noch die vielen Material-Mixe, welche, sinnvoll zusammengefügt, interessante Puppen ergeben können. Wer sich mit dem Bau von Puppen beschäftigt, wird gewisse Vorlieben für ein bestimmtes Material entwickeln, da spielen handwerkliche Fähigkeiten, ästhetische Präferenzen und nicht zuletzt die Werkstattbedingungen eine Rolle.

Drei Worte, die den Werkstoff SCHAUMSTOFF beschreiben:

Flexibel, inspirierend, unendlich.

Wie kamt Ihr zum SCHAUMSTOFF? (Oder der SCHAUMSTOFF zu Euch?)

Ich habe ein alternatives Material zu langsamem Zeug wie Pappmaschee oder Ton oder Latex gesucht. Da fiel mein Auge auf ein altes Polster in unserem damaligen Büro und so entstand der erste Frosch. Das war 2003. Daraus wurde der „Froschkönig“.

Warum arbeitet Ihr so gerne mit SCHAUMSTOFF?

Zum einen kann man Ideen unglaublich schnell umsetzen, zumindest roh. Und zum anderen bietet der Schaumstoff oft schon ein Muster, eine Textur an – wir arbeiten ja gerne mit altem Schaumstoff, in dem man Formen bereits finden kann. Außerdem ist er leicht und beweglich, was für die späteren Puppen toll ist. Oft bilden die Puppen die Idee sehr unmittelbar ab und man kommt sehr direkt an die eigene Intuition heran.

Was kann eine Puppe aus SCHAUMSTOFF besonders gut? Was zeichnet sie aus?

Die Schaumstoffpuppe nimmt aufgrund der Sensibilität des Materials sehr viele Bewegungsimpulse auf und ist besonders leicht. Da unsere Puppen dynamisch aus dem Probenprozess entstehen, haben sie oft eine direkte Verbindung zum Leben und zum Spieler. Die Schaumstoffpuppe kann gut kaputtgehen und sehr einfach repariert werden.

Wo liegen die Grenzen des Werkstoffs SCHAUMSTOFF?

Bei Puppen aus Schaumstoff gibt es so gut wie keine Grenzen – außer, dass manche Menschen allergisch auf das Material reagieren. Bei Masken gibt es mehrere Schwierigkeiten, zum Beispiel eine enge Maske zu bauen oder eine gute Verbindung mit dem menschlichen Kopf zu schaffen. Schaumstoffmasken sind oft schwitzig und verrutschen, man bekommt als Spieler*in kein klares Gefühl, wie die Maske sitzt, da sie so leicht ist. Eine starre Maske ist leichter zu spielen als eine weiche.

Wenn nicht SCHAUMSTOFF, dann…?

Für Hand- und Führpuppen ist Schaumstoff für mich unschlagbar, da kommt höchstens noch Pappe ran. Für Masken eignen sich Latex-Pappmaschee-Mischungen eigentlich besser als Schaumstoff, sind aber komplizierter zu bearbeiten. … – www.das-helmi.de

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