Kritik und Auswertung
von Horst Hawemann
Erschienen in: Recherchen 108: Horst Hawemann – Leben üben – Improvisationen und Notate (03/2014)
Eines Tages wurde ich zufälliger Zeuge eines Gespräches zwischen zwei Schauspielern. Der eine, der sich selbst als „alten Hasen“ der Schauspielerei bezeichnete, aber nichts anderes als ein Schwätzer mit mangelndem Interesse fürs Zuhören war, malträtierte eine junge Schauspielerin mit sogenannten guten Ratschlägen. Er redete ununterbrochen auf sie ein. Sie hörte zu, demonstrierte Interesse und litt an der Vorstellung, auch so werden zu können wie der geschwätzige Kollege. Keine Schauspielschule hatte sie auf solche Qualen vorbereitet. Sie war in eine eitle Selbstdarstellungsfalle geraten, die sich als fürsorgliche Beratung tarnte.
Natürlich ist gegen einen Gedankenaustausch unter Kollegen nichts zu sagen, er findet viel zu selten statt. Mangelnde Erfahrung macht keinen mangelhaften Schauspieler. Das wird sich ändern, und es werden die eigenen Erfahrungen sein, die voranbringen.
Auch bestimmte andere Formen der Bewertung und Auswertung von szenischer Arbeit habe ich kennen gelernt und war selbst daran beteiligt. Ich erlebte Regisseure, die für die sogenannte „Kritik“ nach der Probe mehr Zeit verbrauchten als für die vorangegangene Probe. Und warum nennt sich das Kritik? Sind die Spieler festgelegt als die zu Kritisierenden, und der Spielleiter als der Kritisierende, also sind damit die Machtverhältnisse bestimmt? Mit der ganzen gewichtigen Kritik nach einer Probe geht der Schauspieler unterschiedlich...