Theater an der außereuropäischen Peripherie
Anti-koloniale Modernisierung in China
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Im Zuge der kulturellen Bewegung 1919, die unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, mit scharfer Kritik an den von den Siegermächten diktierten Friedensverträgen, in China entstand, veränderte sich die chinesische Theaterlandschaft wesentlich. Ihr Name bezog sich auf die 1919 im Versailler Friedensvertrag vorgesehene Überlassung ehemaliger deutscher Kolonialrechte an die Japaner. Nach der Beseitigung des Kaiserregimes 1911 konnte sich die neue Republik, zerrissen durch innenpolitische Machtkämpfe der Warlords, nicht gegen den Kolonialismus durchsetzen.84 Es ging um die endgültige Überwindung bzw. grundlegende Umgestaltung der verkrusteten vormodernen Verhältnisse, die China seit Mitte des 19. Jahrhunderts gegenüber dem westlichen und jetzt auch japanischen Imperialismus wehrlos gemacht hatten. Die „Modernisierung“, oder auch anders die Übernahme/Einverleibung/Integration soziokultureller Verhaltensweisen, Mechanismen und Institutionen, die offensichtlich Grundlagen der überlegenen Macht der Kolonialherren waren, erschien als unabwendbare, unverzichtbare Bedingung. Theater, spätestens seit der Yuan-Periode immer eine wesentliche gesellschaftliche Kraft, sollte ein sehr aktiver Faktor des Erneuerungsprozesses sein.
Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich das traditionelle Theaterwesen teilweise verändert, hatten sich bedeutende Darsteller in nicht wenigen Fällen kritisch zu erstarrten, repressiven gesellschaftlichen Erscheinungen geäußert. Im Zusammenhang mit der Rezeption westlicher Philosophie, Künste und politischer republikanischer Konzeptionen wurden neue theatertheoretische Ansätze gemacht, und es gab erste Versuche mit dem aus Europa...