Pragmatische Einordnung des Individuellen: Klassisches Theater in China
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Wann und wie sich genau ästhetisch dominiertes komplexes Theater in China ausdifferenzierte, ist nicht auszumachen. Der spielerische Umgang mit Artefakten, das Puppenspiel, war vielleicht die erste Form. Wann es sich ausgebildet hat, ist nicht bekannt. Seine Wurzel könnte das Verhältnis der Lebenden zu den Toten gewesen sein, das theatral praktizierte Denken der Lebenszyklen und der Differenzen zwischen dem Lebendigen und dem Unbeweglichen, dem Toten.195 Die Kunst des Puppentheaters als Spiel mit Holzpuppen wird in China auf Opferriten bei Bestattungen in der Shang-Dynastie (17. bis 11. Jahrhundert v. Chr.) zurückgeführt. In dieser Epoche ersetzte man Menschenopfer in Form von Sklaven nach und nach durch Tonfiguren. In der Zeit der Streitenden Reiche (481 – 221 v. Chr.) wurden aus den Tonfiguren hölzerne Puppen (mu’ou ren) – direkt übersetzt „hölzerne Puppenmenschen“. Bei Ausgrabungen in den Jahren 1953 und 1954 fand man hölzerne Figuren, die Tänzer und Sänger darstellten. In der Darstellungskunst während der Han-Dynastie (179 – 157 v. Chr.) wurden Puppen bereits benutzt. Das Theater mit Puppen, Masken und Objekten (Hand-, Schatten- und Stabpuppen sowie vielleicht auch Marionetten, die von Sängern und Tänzern beiderlei Geschlechts animiert wurden) scheint die zeichenhaft-kunsthafte Spielweise in von Menschen gespielten Theaterstilen beeinflusst zu haben. So...