Theater für die Postmoderne
Freies Theater und die Modernisierung der deutschen Theaterlandschaft
von Henning Fülle
Erschienen in: Recherchen 125: Freies Theater – Die Modernisierung der deutschen Theaterlandschaft (1960 – 2010) (11/2016)
… dass das Politische des Theaters gerade nicht als Wiedergabe, sondern als Unterbrechung des Politischen zu denken sein muss.1
Der Überblick über die Entstehungsgeschichte des Freien Theaters in Deutschland zeigt die Herausbildung seiner Formen und Strukturen als einen widersprüchlichen nicht linearen Prozess, in dem es sich als Parallelsystem zum Stadt- und Staatstheater herausbildet und konsolidiert. Seine besondere Bedeutung besteht darin, dass damit sehr spät auch in Deutschland die Grundlagen für die Ausbildung jeder Form der Theaterpraxis und -institutionen entstehen, die als zeitgenössisches, postmodernes Theater international – vor allem im westlichen Ausland – bereits seit dem Zweiten Weltkrieg im Schwange sind. Entwicklungen, die im Geltungsbereich des „deutschen Systems“ der Stadt- und Staatstheater über Jahrzehnte hinweg blockiert sind. Diese Blockaden reichen weit bis in das 20. Jahrhundert zurück.
Der historische Kontext. Restauration und kulturelle Rückständigkeit2
Sowohl die Zäsur des Ersten Weltkrieges, vor allem aber der Machtantritt der Nationalsozialisten und ihre Herrschaft haben im deutschen Kulturraum die Umsetzung der Impulse der künstlerischen und strukturellen Modernisierung der Theaterkunst und des Theaters be- und verhindert, die mit der Wende zum 20. Jahrhundert aufgebrochen waren. Diese Modernisierungsimpulse entstanden vielfach im deutschen Sprach- und Kulturraum: Die Dadaisten, Kurt Schwitters, Oskar Schlemmer, das Regietheater Max Reinhardts,...