Auftritt
Luzerner Theater: Post-Weltschmerz-Theater für das Klima
„Doomsday“ ein interaktives Game-Theater von Suzí Feliz Das Neves – Regie Suzí Feliz Das Neves, Bühnenberatung Selin Samci, Kostümberatung Sarah Hofer
von Anna Bertram
Assoziationen: Theaterkritiken Schweiz Dossier: Klimawandel Suzí Feliz Das Neves Luzerner Theater

Wenn sich eine Generation in Anbetracht der Klimakatastrophe für Aktion verantwortlich fühlt, wird sie damit früher oder später nicht mehr nur auf die Straßen, sondern auch ins Theater ziehen. „Doomsday“ am Luzerner Theater steht für genau diese Praxis: eine politische Dringlichkeit, die sich in eine theatrale Form übersetzt. Als „Interaktives Game Theater“ sucht der Abend mit zwei Schauspieler:innen (Hugo Tiedje und Amelie Hug) besetzt einen Weg, Aktion und Verantwortung nicht nur über die Setzung vom Diskurs, sondern auch formal erfahrbar zu machen. „Doomsday“ ist das Regiedebut von Suzí Feliz Das Neves und geht auf eine spielerische Art Entscheidungsfragen nach: Es ist Theater zum Mitmachen, Mitdenken, Mitraten. Damit findet der Abend eine Sprache zwischen politischer Bildungsarbeit und klassischer Theaterform. In einer DIY-Ästhetik lädt die Stückentwicklung zu einem erfrischenden Umgang mit politischen Themen ein und zielt in ihrer Dramaturgie auf Teilhabe und Handlungsmöglichkeiten ab.
Wir werden in einen Countdown geworfen. Eine unbekümmerte und liebenswürdige Figur mit gebastelten Flügeln aus Draht (Hugo Tiedje) stellt sich uns als Ed der Erdgeist vor und veranlasst, einen roten Apokalypse-Buzzer zu drücken. Boom. Das Szenario: Der Tag, an dem der Planet mitsamt Menschheit zerstört wird, ist festgesetzt. Die Frage: Kommen wir aus der selbstverschuldeten Katastrophe wieder heraus? An den Wänden des Untergeschosses im Luzerner Theater hängen als „Wall of Extinction“ gelabelt verschiedene Fotos von Tieren und Pflanzen. Auf das Publikum warten Aufgaben und Rätsel, durch die uns Ed mit Gaia als Mutter Erde (Amelie Hug) führt. Zwischen „Wer wird Millionär“ Setting und Dialogen untereinander leiten beide mal mehr als Quiz-Master, dann wieder verstärkt als erzählende Handlungsträger:innen den Abend an. Stimmungsbilder, in denen es darum geht wer in der Landwirtschaft arbeitet oder ein Einfamilienhaus besitzt, Fragen nach der Definition vom Holozän, Kritik an gescheiterten Volksabstimmungen über Großkonzerne finden Raum. Gaia ist dabei deutlich strenger und hat das Sagen – schließlich geht es für sie um etwas. Ed hingegen flattert in seiner Unbeschwertheit und Ausgelassenheit als hedonistisches Subjekt des Kapitalismus durch die Endstimmung.
Trotz partizipativer Setzung folgt „Doomsday“ eher einem Top-Down Ansatz als einem Open-World-Game. Es bleibt bei einer festen Bühnen- und Sitzanordnung, Text und Handlung scheinen größtenteils vorgegeben und inszeniert. Grund dafür ist nicht zuletzt Gaias und Eds klassische und behauptende Spielweise. Sie stellt mehr dar, als dass sie in einen tatsächlichen Dialog mit dem Publikum kommen will. Doch genau hier liegt die Qualität des Abends. Er bedient sich einer klassischen Theaterform, die mit Inhalten und Methoden der politischen Bildungsarbeit erweitert wird. Das Publikum erfährt eine politische Aktivierung, spürt Macht, wenn es um Mitbestimmung demokratischer Teilhabe geht, spürt Ohnmacht, wenn vorgezeigt wird, wie viel die Superreichen mit einem Sekt in der Hand an CO2-Emmissionen alleinig verantworten. Kapital schlägt Thunfisch-Sushi. Es ist ein ständiger Spagat zwischen individueller Verantwortung und der Erfahrbarmachung struktureller Systemik. Und die künstlerische Setzung weiß: Tatsächliche Teilhabe und Partizipation kommt nach dem Theater, der Abend hier ist eine Aufforderung und Anregung. Wohlwollend, aber ernst. Wake up.
Die Synergie zwischen Theater und nonformaler Bildungsform ist unterhaltsam und geht auf. Sie ist ein Abschied von einer oft behaupteten Überästhetisierung und Komplexitätsverherrlichung des Theaters, spricht in einer zugänglichen Sprache und ohne ästhetische Sperrigkeit. Sie möchte das System nicht sprengen oder neu erfinden, sondern anregen. Das Anliegen ist ehrlich: Weder die Spieler:innen noch die Form verharren in Anbetracht eines globalen Versagens in einer Trauer oder Ohnmacht. Viel eher gibt es Bewegung, Dynamik, Kommunikation. In fein nuancierten Einladungen auch für das Publikum, Aktion als Chance also. Der Weltschmerz ist zwar da, längst aber nicht mehr als treibende Kraft, sondern als verinnerlichte Prämisse. Ohnmacht war gestern, nun folgt Aktion. „Doomsday“ verdeutlicht in seiner Offenheit und spielerischen Setzung einen politischen Sachverhalt, beurteilt und bewertet ihn. Und zeigt, wie ein Abend aussehen kann, in dem nicht nur ein künstlerisches, sondern ein tatsächlich politisches und gesellschaftliches Interesse mit auf die Bühne zieht.
Erschienen am 5.6.2023