Theater der Zeit

Theater südlich der Sahara

Editorial

von Rolf C. Hemke

Erschienen in: Recherchen 77: Theater südlich der Sahara – Theatre in Sub-Saharan Africa (06/2010)

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„Als folkloristisch, mithin lächerlich, bar jeder Feinheit, bar jeder Intelligenz“ werde Afrika wahrgenommen. So drückt es zumindest der große malische Schauspieler Habib Dembélé in seinem Beitrag zu diesem Buch aus. Die Vielfalt an divergenten Kulturen und Traditionen, die sich auf teilweise kleinstem Raum erheblich unterscheiden, werden aus der Ferne kaum gesehen. Da mag es einem Europäer bei seinem ersten Besuch im subsaharischen Afrika ergehen wie manchem Nordamerikaner in Europa, den die kulturellen Unterschiede auf engem Raum überraschen. Dieses Buch möchte informieren, neugierig machen, den Blick schärfen. Das Theatergeschehen südlich der Sahara kann spannender sein als das an ganz anderen, anders beachteten und anders begüterten Orten. Denn Subventionen für Kunst und Theater gibt es im subsaharischen Afrika – selbst in Südafrika – kaum. Dennoch oder gerade deshalb lohnt es sich hinzuschauen, zu suchen, zu entdecken und Künstler auf ihren Wegen zu begleiten, zu unterstützen, ihnen zu vertrauen.

Dieses Buch gibt aber auch Zeugnis von den Schwierigkeiten oder Gefahren, relevante Kunst zu schaffen, in Zeiten des Bürgerkriegs, wie es Patrick-Jude Oteh und seinem Jos Repertory Theatre in Zentralnigeria gelingt, oder in Zeiten politischer Unterdrückung, die die Protesttheater- Bewegung in Simbabwe antreibt. Es beschreibt aber immer wieder das auch andernorts nicht unbekannte Wagnis, jenseits aller Fördertöpfe seine eigenen künstlerischen Wege zu gehen. Der Herausgeber schätzt sich glücklich, dass er mit Hilfe der nahezu flächendeckenden Netzwerke von Goethe-Instituten und ITI-Zentren und zahlreicher kluger Menschen vor Ort Informationen über Theatermacher und Journalisten sammeln und filtern konnte und sich nicht allein auf seine eigenen Erfahrungen und Kontakte verlassen musste. Dennoch ist dieses Buch keine Enzyklopädie. Es möchte eine Bresche schlagen. Es kann, darf und will keinerlei Anspruch darauf erheben, dass es alle wichtigen oder innovativen Theatermacher oder Gruppen zwischen seinen Deckeln versammelt. Dazu ist Afrika zu groß, die Szene zu unübersichtlich und sind die Kriterien, Geschmäcker und Emotionen zu verschieden. 

Der Fokus dieses Buches liegt auf der Theaterpraxis: Alle hier porträtierten Künstler sind zumindest auch Regisseure und ein Reflex dieser Arbeit findet sich in jedem einzelnen Beitrag wieder. Doch zumeist sind sie mehr als das, sie sind Theater- und Organisationsgenies:Zugleich Autoren, Regisseure, Schauspieler, Produzenten, Lehrer, Lobby - isten und manchmal auch noch Politiker. 

Als knifflig erwies sich der Umgang mit spartenübergreifenden Künstlern und die Vielfalt jener Theaterszenen, in denen sich weit mehr als ein Künstler zur Aufnahme in dieses Buch anbot: Man nehme nur den in Europa derzeit allseits präsenten Südafrikaner Boyzie Cekwana mit seinen genremäßig kaum einzuordnenden Tanzperformances. Ab gesehen davon, dass man ein Buch wie das vorliegende problemlos allein mit südafrikanischen Künstlern bestücken könnte, ging unsere Orientierung in diesem Fall doch eher in Richtung der literarisch oder textlich fixierten Theaterformen. Das Porträt Faustin Linyekulas hat dann gerade wegen seines – während der Entstehung des Buches bereits zweiten – Inszenierungsprojektes zu Racines BERENIKE Aufnahme gefunden. 

Der Plan zu diesem Buch ist entstanden und gereift auf langen Reisen durch das subsaharische Afrika, im Gespräch mit afrikanischen Kollegen und europäischen Reisegefährten, namentlich meinem Freund, dem hoch geschätzten Berliner Theaterwissenschaftler und Afrikakenner Joachim Fiebach. Dieser Umstand bringt es mit sich, dass das Buch auch als kleiner Theaterreiseführer gedacht ist: Zu allen Länderkapiteln findet sich im Anhang ein kommentiertes Adressverzeichnis. Mittels der Zweisprachigkeit der Ausgabe hoffen wir, auch eine afrikanische Rezeption zu ermöglichen und eine entsprechende Vernetzung aktiv unterstützen zu können. Vielleicht gelingt es ja perspektivisch, auch eine französische und/oder portugiesische Übersetzung des Buches zu realisieren. 

Bereits das vorliegende Projekt wäre ohne die inhaltliche wie finanzielle Unterstützung seitens des Goethe-Instituts, Herrn Peter Anders, Johannesburg, und des ITI Deutschland, Herrn Thomas Engel, Berlin, nicht zu Stande gekommen. Dank sei an dieser Stelle zudem ausgesprochen für die konstruktive und verlässliche Zusammenarbeit sowohl den Autoren und den Übersetzern von Subtext Berlin, als auch Verlag und Lektorat von Theater der Zeit und Frau Isabel Carcamo-Mankas für die unermüdliche Adressrecherche. Nicht zuletzt gilt mein Dank aber meinem Arbeitgeber, den ich hier gleichzeitig auch als Mentor nennen möchte: Denn die internationale Arbeit des Theater an der Ruhr, so wie sie Roberto Ciulli bereits in den achtziger Jahren konzipiert hat und bis heute verfolgt, hat mich seit 2006 die Festivals Afrikas und des arabischen Raumes so bereisen lassen, dass die Idee zu diesem Buch überhaupt erst entstehen konnte. 

Rolf C. Hemke, Herausgeber, April 2010

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