Eine andere Moderne I: Shakespeare
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Neben der Herausbildung des regelgemäßen, rationalistisch genormten Theaters vollzog sich der historisch entscheidende, weiterwirkende theaterkünstlerische Umbruch in wesentlich anderen Formen. Als kulturelle Produkte und Faktoren in der Ausbildung frühkapitalistischer Verhältnisse manifestieren diese anderen Formen in ihren Darstellungsweisen Dimensionen der neuen geschichtlichen Prozesse, darunter die außerordentliche Komplexität und Widersprüchlichkeit, die enorm gewachsene Unübersichtlichkeit und das anscheinend Undurchschaubare gesellschaftlicher Vorgänge. All dies verbalisierte das regelmäßige Drama mit seinen aus der Aristoteles-Deutung gewonnenen Normen gleichsam nur reduktionistisch, ließ es aber nicht massiv sinnlich werden, problematisierte es nicht gestalterisch. Genau das aber machten die englischen populären Truppen, die von Sidney scharf angegriffen wurden, auch die von Boileau-Despréaux verachteten Spanier, deren klassische Dramaturgien (Lope de Vega und Caldéron) und Spielweise hier nicht weiter verfolgt werden können, und die Commedia dell’Arte-Bewegung in Italien und Frankreich des 16. und 17. Jahrhunderts. Gegen die absolute Privilegierung des geschriebenen Dramas, des Abstrakt-Schriftlichen stellte sie massiv die irdische, ja fleischliche Sinnlichkeit, die Materialität, die herausragende Rolle der Körperlichkeit in den von der Renaissance geprägten Kulturen der Umbruchsperiode aus.
Bei den populären Truppen der Engländer waren für einige Jahrzehnte die Schauspieler, die lebendigen Körper als Macher des neuen Theaters zentral, nicht die Dichter, die Schreiber, auch wenn deren Texte unabdingbare...